Umverteilung auf subtile Art

  • Mechthild Schrooten
  • Lesedauer: 3 Min.
Für Mechthild Schrooten besteht das »Phänomen Deflation« aus mehr als sinkenden Preisen. Eine Antwort auf Klaus Müller (»nd« vom 9. Juli)

Deflation ist ein komplexes Phänomen. Das zeigt auch der Artikel von Klaus Müller. Das Sinken der Preise, so schreibt er, müsste doch eigentlich von den KonsumentInnen begrüßt werden. Stimmt. Stimmt aber nur dann, wenn bei einer Deflation die Preise sinken würden und damit die Geschichte zu Ende wäre. Dann wäre es eine Umverteilung vom Unternehmenssektor zu den privaten Haushalten – und es täte gerade denjenigen gut, die auf jeden Cent achten müssten.

Aber leider ist das Phänomen der Deflation etwas komplizierter. Die Geschichte hört nicht einfach bei den sinkenden Preisen für Konsumgüter auf. Das zeigt sich schon daran, dass sich Unternehmen auch in Zeiten sinkender Preise nicht gern auf rückläufige Gewinne einrichten. Um die Unternehmensgewinne in Deflationszeiten nicht zu gefährden, gibt es zumindest kurzfristig einige Instrumente. Diese zielen allesamt auf Kostensenkung ab.

Und jetzt wird das Ganze etwas interessanter. Denn die Kosten der einen sind die Einkommen der anderen. Dieses Zusammenspiel, dieser Kreislauf, wird besonders klar, wenn es um die Löhne geht. Aus der Sicht von Unternehmen stellen sie in der Regel den größten Kostenblock dar. Aus Sicht der abhängig Beschäftigten handelt es sich dagegen um Einkommen. Der Unternehmenssektor hat auf dem Arbeitsmarkt eine erhebliche Marktmacht. Deshalb führen gewinnsichernde Kostensenkungen in diesem Gefüge schnell zu Einkommenssenkungen für die abhängig Beschäftigten. Und wie kann der Unternehmenssektor die Lohnkosten besonders gut senken? Da gibt es klassisch-erprobte Ansätze – allesamt treffen sie die Gruppe der abhängig Beschäftigten ins Mark. Mit solchen Einkommenseinbußen gehen die angesprochenen Preisvorteile verloren. Die abhängig Beschäftigten können sich bestenfalls kurzfristig als Deflationsgewinner begreifen – mittel- und langfristig bleiben sie auf der Strecke.

Das Phänomen der Deflation ist aber noch wesentlich komplexer. Deflationsgefahr setzt die klassische Geldpolitik außer Kraft. Damit fällt ein wesentliches Instrument zur gesamtwirtschaftlichen Belebung aus. Was dauerhafte Deflation bedeutet, kann am Beispiel Japans anschaulich analysiert werden. Um einer deflationsbedingten hartnäckigen Stagnation zu entgehen, setzt die Geldpolitik in Europa auf eine Niedrigzinspolitik. Das allein reicht aber nicht, um die gesamtwirtschaftliche Situation in der Eurozone zu stabilisieren.

Vielmehr wären dazu auch kräftige fiskalpolitische Impulse notwendig. Denn ohne eine solche Begleitmusik verpuffen die geldpolitischen Effekte in Zeiten von Unsicherheit über den zukünftigen Kurs. Das lässt sich aktuell auch in Deutschland erkennen. Der gemessenen Deflationstendenz steht eine gefühlte Inflationstendenz gegenüber. Hintergrund ist, dass in Zeiten billigen Geldes vor allem die Nachfrage nach Vermögenswerten befeuert wird. So entsteht beispielsweise eine Immobilienpreisinflation. Die Entwicklung der Immobilienpreise geht bestenfalls indirekt in die Berechnung der Inflationsrate ein. Es kann also durchaus Inflation auf einzelnen Märkten geben, während der offiziell ausgewiesene Preisindex stagniert oder sogar nach unten zeigt.

Und wer profitiert? In einer Geldwirtschaft sind das immer die Vermögenden – besonders diejenigen, die Risiken eingehen können. Ihr Vermögen gewinnt in solchen Zeiten an Wert. Kurzum: Die Reichen werden immer reicher. Umverteilung ist das und zwar wieder einmal von unten nach oben. Doch diesmal ist es eine Umverteilung der allerfeinsten – nämlich der subtilen – Art. Genau diejenigen, die auf jeden Cent achten müssen, werden so in Zeiten deflationärer Tendenzen besonders leicht zu Verlierern.

Dagegen wendet sich die von Klaus Müller kritisierte Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik in aller Schärfe. Und das nicht nur in ihrem diesjährigen Memorandum

Der Text von Klaus Müller ist im Internet nachzulesen.

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