Stürmische Farben, abstrakte Formen

Eine Expressionismus-Ausstellung in Schwerin widmet sich den Malerfreunden Kirchner und Wiegers

  • Christopher Weckwerth, Schwerin
  • Lesedauer: 3 Min.
Es war ein radikaler Aufbruch: Die Expressionisten Kirchner und Wiegers wandten sich vor 100 Jahren von der Elite ab und wollten eine ganz neue Kunst erschaffen. Eine Schau in Schwerin zeugt davon.

Ernst Ludwig Kirchner sitzt vor einer Leinwand und blickt forschend zum Betrachter. Im Mund hält er eine Pfeife, das markante Gesicht wirkt wach und jugendlich. Ganz anders Jan Wiegers: Wie ein alter Mann sinkt er schläfrig in sich zusammen, die Augen geschlossen. Nur die Hand mit dem Pinsel hält er aufrecht.

Diese zwei Porträts der Künstler, gemalt im Jahre 1925 vom jeweils anderen, bilden das Eingangstor zur Ausstellung »Expressionistische Begegnung«, die das Staatliche Museum Schwerin seit Freitag dem Publikum präsentiert. Ihre Farben sind intensiv, die Realität nicht mehr als eine Vorlage für den Ausdruck des Gesehenen. Und sie berichten von einer unwahrscheinlichen Zusammenarbeit: »Wir erzählen die Geschichte einer Freundschaft, die eine völlig neue Kunst hervorgebracht hat«, sagt Museumsdirektor Dirk Blübaum.

Der Deutsche Kirchner (1880 bis 1938) und der Niederländer Wiegers (1893 bis 1959) begegnen sich zum ersten Mal im Jahre 1920 in Davos. Beide führen langwierige Erkrankungen in die Schweiz. Kirchner ist zu dieser Zeit bereits ein etablierter Künstler, als Gründungsmitglied der Gruppe »Die Brücke« trieb er die Abspaltung von der traditionellen Ästhetik mit voran. Wiegers hingegen, 13 Jahre jünger, hängt noch an der naturalistischen Schule, die er studiert hat und ist auf der Suche nach einem eigenen Stil. Da kommt der unkonventionelle Kirchner gerade recht.

Wiegers Werke, die in Schwerin erstmals zusammen mit Kirchners ausgestellt werden, werden mit jedem Treffen abstrakter. »In seinen frühen Werken hat sich Wiegers noch durch die Darstellungen gekämpft, von Kirchner lernt er, schnell zu malen«, sagt Kuratorin Adina Rösch. 15 Minuten braucht dieser für eine Zeichnung, länger nicht.

Das wilde Farbenspiel der großen Gemälde, die die Schau präsentiert, wird kontrastiert von einer Vielzahl kleiner schwarz-weißer Zeichnungen und Holzschnitte. »Darin haben die Künstler das Gesehene unmittelbar verarbeitet und nach der richtigen Form gesucht. Die großen Gemälde waren die Meilensteine, auf die sie hinarbeiteten«, erläutert Museumsdirektor Blübaum.

Insgesamt 100 Werke werden in Schwerin ausgestellt, um Einflüsse, aber auch Unterschiede zu offenbaren. Denn bei aller Inspiration durch Kirchner bleibt Wiegers stets auch auf Distanz: »Er hat den Deutschen nicht kopiert, sondern seinen eigenen Stil erarbeitet«, sagt Blübaum.

Als Wiegers zurück in die Niederlande geht, stößt er mit seinen neuen Werken eine Veränderung in seinem Künstlerumfeld an. Kirchner wiederum erhält neue Impulse für sein Spätwerk, denn mit seinen alten Arbeiten aus der Zeit der »Brücke« kann er sich in den 1920er Jahren schon nicht mehr identifizieren.

Die Rezeption der Freunde in ihrer Heimat könnte jedoch unterschiedlicher kaum sein. Wiegers wird im Jahr 1953 den Ritterorden verliehen. Kirchners Werk indes wird von den Nazis als »entartet« verfemt und verboten. dpa/nd

Ausstellung »Expressionistische Begegnung« im Staatlichen Museum Schwerin, Galerie Alte & Neue Meister, bis zum 28. September 2014

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