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Inklusion bestellt - aber nicht bezahlt

Niedersächsische Kommunen planen Klage gegen das Land

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Der gemeinsame Schulbesuch von Kindern mit und ohne Behinderung, die Inklusion, wird teuer - auch in Niedersachsen. Per Klage wollen die Kommunen sichern, dass das Land die Kosten trägt.

Eine »Pädagogik der Ermutigung« solle verwirklicht werden, die »Vielfalt der Talente« gelte es zu entwickeln. So hatten SPD und Grüne zu Beginn ihrer Regierung in Niedersachsen für die Inklusion geworben. Ein Gesetz folgte, seit 2013 haben Behinderte das Recht, zusammen mit Nichtbehinderten die allgemeinbildenden Schulen zu besuchen. Und die Kreise, Städte und Gemeinden haben die Pflicht, ihre Schulen dafür herzurichten, baulich und zum Teil auch personell.

Diese Aufgabe tut vielen finanziell ohnehin geplagten Kommunen sehr weh. Sie hören aus Hannover sonnige Worte zur Inklusion, befürchten aber offensichtlich, dass sie das Land im Regen stehen lässt. Denn bislang sei nicht hieb- und stichfest sichergestellt worden, dass das Land die Kosten übernimmt. Dass es dazu verpflichtet ist, wollen nun mehrere Städte und weitere Gebietskörperschaften per Klage vom Staatsgerichtshof in Bückeburg feststellen lassen.

Signal des DOSB

Sportler mit und ohne Behinderung sollen nach dem Willen des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) künftig häufiger gemeinsam das Sportabzeichen machen können. Bei einer Veranstaltung in Kiel sei dafür ein neues Konzept getestet worden, teilte der DOSB mit. Entwickelt worden sei es in Zusammenarbeit mit dem Kieler Sportwissenschaftler Manfred Wegner. Menschen mit und ohne Handicap sollen am gleichen Ort und zur gleichen Zeit die Prüfungen ablegen können.

Das Projekt sei zunächst auf drei Jahre angelegt. »Unser Ziel ist es, dass die Teilnahme von Menschen mit Behinderung an der DOSB-Sportabzeichen-Tour eine Selbstverständlichkeit wird«, sagte Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes. dpa/nd

 

 

»Noch nie in der Geschichte des Niedersächsischen Städtetages hat es eine derart breite Bereitschaft für eine Klage gegen das Land gegeben wie in der Frage der Inklusion«. So fasste der Hauptgeschäftsführer jenes kommunalen Spitzenverbandes, Heiger Scholz, jüngst das Ergebnis einer Versammlung von Oberbürgermeistern zusammen. Für sie ist die Sache ein Aufreger, denn die Ausgaben sind hoch. Das 73 000 Einwohner zählende Lüneburg etwa rechnet für seine 18 Schulen mit mehr als sechs Millionen Euro Investitionskosten, berichtet Stadtsprecherin Suzanne Moenck dem »nd«. Behinderten-WCs und Pflegeräume mit Wasch- und Wickelmöglichkeit müssen ebenso eingerichtet werden wie Rampen und Aufzüge. Behindertengerechte Eingangstüren sind nötig, auch Akustik-Decken und -Fußböden, um hörgeschädigte Kinder unterrichten zu können.

Darüber hinaus müssen die Integrationshelfer bezahlt werden. Keine Pädagogen, sondern Kräfte, die den Behinderten zum Beispiel dabei helfen, sich in der Schule zu bewegen.

Alle Verhandlungen mit dem Land um den Kostenausgleich seien ohne konkrete Ergebnisse geblieben, bedauert der Städtebund. Deshalb wollen einige Kommunen, stellvertretend für über 170, das Land auf Einhaltung des Konnexitätsprinzips verklagen. Es ist Bestandteil der Niedersächsischen Verfassung und besagt: Wer etwas bestellt, muss es auch bezahlen. Und das Land hat die Inklusion bestellt, mahnen die Städte, Gemeinden und Kreise. Eine gütliche Einigung wäre dem Städtebund sympathischer, bekräftigt dessen Referentin Nicole Teuber. Aber solch ein Kompromiss sei aus Hannover nicht angeboten worden.

»Das Land hat immer gesagt, dass es sich seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung bei der Umsetzung der inklusiven Schule sehr bewusst ist und auch die Kommunen finanziell unterstützen wird«, betont dagegen Susanne Schrammar, Sprecherin von Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD). Deshalb habe das Ministerium den Konnexitätsanspruch »dem Grunde nach frühzeitig anerkannt« und deutlich gemacht, dass darüber auch eine gesetzliche Ausgleichsregelung geschaffen werden soll. Bis dahin habe das Ministerium »eine bilaterale Vereinbarung« angeboten, doch die sei abgelehnt worden.

Die Kommunen scheinen sich mit einem Spruch des Staatsgerichtshofs eher auf der sicheren Seite zu sehen. Ein Urteil soll garantieren, dass die Inklusion auch von denen bezahlt wird, die damit in den Wahlkampf gezogen sind.

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