Mehrheit der Wohnungslosen psychisch krank

Münchener Mediziner: Kürzungen im Psychiatriebereich und Obdachlosigkeit stehen in Zusammenhang

  • Lesedauer: 2 Min.
Manche halten Obdachlose für haltlos und faul. Andere sehen in den Clochards eine Form von Freiheit. Eine Studie in München zeigt: Keines von beidem stimmt.

München. Wohnungslose, Treber, Clochards - viele von ihnen landen einer Studie zufolge auf der Straße, weil sie psychisch krank sind und geeignete Hilfsangebote fehlen. Mehr als zwei Drittel der Betroffenen litten unter psychiatrischen Erkrankungen, ergab eine Untersuchung mit 232 in Münchner Notunterkünften lebenden Menschen der Klinik für Psychiatrie am Universitätsklinikum Rechts der Isar. »Das zeigt, dass psychiatrische Erkrankungen ein ganz erheblicher Risikofaktor sind«, sagt der Leiter der Arbeitsgruppe Klinische und experimentelle Neuropsychologie, Thomas Jahn, in München.

Nur ein Drittel der Erkrankten, so Jahn, erhalte eine entsprechende Versorgung. Deshalb müsse die psychiatrische Betreuung in Wohnungsloseneinrichtungen weiter verbessert werden. Betroffen seien oft Menschen mit geringerer Leistungsfähigkeit, der IQ der Teilnehmer lag durchschnittlich bei nur 85. Allerdings sei in der Studie auch ein Hochbegabter mit einem IQ von 132 darunter gewesen. Die Problematik nehme weiter zu, hieß es. Bundesweit seien 300 000 Menschen ohne Wohnung. Laut Prognose der Bundesarbeitsgemeinschaft Obdachlosenhilfe werde die Zahl bis 2016 auf 380 000 steigen.

Die Teilnehmer der Studie litten unter anderem an manisch-depressiven Störungen, Schizophrenie, Depressionen, Angst- oder Zwangserkrankungen. Sie seien im Schnitt sechseinhalb Jahre vor dem Verlust der Wohnung erkrankt, sagte der Leitende Oberarzt Josef Bäuml. »Das ist kein schönes Ergebnis für uns Psychiater.« Denn es sei nicht gelungen, die Menschen vor dem Abrutschen zu bewahren. Die Reduzierung der Psychiatriebetten im Zuge der Enthospitalisierung seit den 1970er Jahren trage daran einen Anteil. Viele der chronisch Kranken könnten in den kurzen stationären Zeiten, die nun sogar auf 21 Tage verkürzt werden sollen, nicht ausreichend stabilisiert werden. dpa/nd

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