Noch sind wir mittendrin

Franziska van Almsick ist besorgt, dass die Schwimmer ohne Erfolge bald ins Abseits geraten

  • Lesedauer: 6 Min.
Franziska van Almsick wird die EM der Schwimmer (13.-24. August) in Berlin als TV-Expertin kommentieren. 2002 war sie mit fünf Titeln und zwei Weltrekorden noch selbst der Star in ihrer Heimatstadt. Im Gespräch mit Andreas Morbach beklagt sie nun, was der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) seitdem an Fehlern in Nachwuchsarbeit und Trainerförderung gemacht hat.

nd: Die letzte Schwimm-EM in Ihrer Heimatstadt Berlin fand vor zwölf Jahren statt - und geriet zu Ihrem großen Comeback. Welchen Stellenwert hat die EM 2002 in Ihrer Karriere?
van Almsick: Den größten überhaupt. Es waren zwar nur Europameisterschaften - ich hatte mehrere WM-Starts und war viermal bei Olympischen Spielen -, aber die Tage in Berlin waren für mich sehr besonders. Viele hatten mich schon abgeschrieben. Nach fünf quälenden Jahren, in denen ich hart trainiert habe, aber nicht von der Stelle kam, war Berlin der Befreiungsschlag. Und das auch noch zu Hause, vor meiner Familie, vor meinen Freunden, in meiner Schwimmhalle - das war ein Gefühl, das es vorher nie gab, und das ich auch nachher nie mehr erlebt habe.

Gab es einen Zeitpunkt, an dem Sie merkten: Das kann eine große Geschichte werden?
Die Woche lief ja schon sehr gut an, da gelang mir dann fast alles. Ich war, glaube ich, fünfmal am Start und bin fünfmal Europameisterin geworden. Es war in der Tat so - auch das hatte ich vor- und nachher nie erlebt -, dass ich vor dem Finale über 200 Meter Freistil auf die Startbrücke lief und wusste, dass ich das schaffen kann. Dass ich mich dabei gut gefühlt habe, wäre zwar gelogen. Es ging mir hundeelend, wie immer vor meinen Starts. Aber ich wusste: Das kann etwas Großes werden.

War dieses gute Gefühl auch vor der EM schon da?
Ich hatte natürlich große Wünsche und große Hoffnungen, sodass ich, wenn es bei dieser EM nicht geklappt hätte, meine Karriere möglicherweise sofort beendet hätte. Es war insofern der letzte Versuch. Ich hatte sehr gute Trainingszeiten und hab’ mich auch sehr gut gefühlt. Was aber bei mir nie so ganz einfach war, war mein Kopf, der mir öfter einen Streich gespielt hat. Also habe ich mich einfach ein bisschen nach der Devise treiben lassen: Aus der Nummer komme ich eh nicht mehr raus. Ich musste da irgendwie durch, und da war der Start [Gold mit der 4x100-Meter-Freistilstaffel in Weltrekordzeit, d. Red.] natürlich optimal. Es lief dann die ganze Woche über so gut, dass ich am Samstag im Finale über 200 Meter Freistil den Sack zugemacht habe [ebenfalls mit Weltrekord, d. Red.].

Statt wie damals in der Schwimm- und Sprunghalle an der Landsberger Allee starten die Beckenschwimmer jetzt nebenan in einem mobilen Pool im Velodrom. Haben Sie sich dort schon umgesehen?
Ich war zwar zum Sechstagerennen im Velodrom, kann mir aber noch nicht wirklich vorstellen, wie hier die Schwimmwettbewerbe sein werden. Ich bin nicht traurig, das wäre übertrieben. Aber als ich von Europameisterschaften in Berlin gehört habe - da dachte ich: Oh, das wird eine Emotionskiste für mich. Dass es nicht in der alten Halle stattfindet, macht es mir emotional wahrscheinlich ein bisschen leichter. Ich hoffe inständig, dass ausreichend Publikum kommen wird. Ich finde es sehr mutig, mit einer Schwimmveranstaltung in so eine Umgebung zu gehen, wo Tribünen einfach voll sein müssen. Es macht einfach weniger Spaß, in einer großen Halle zu sein und die Ränge sind leer - egal, ob man schwimmt oder Fußball spielt.

Sie sind über zehn Jahre in der Weltspitze mitgeschwommen, arbeiten nun fast genauso lang als TV-Expertin. Wie hat sich der deutsche Schwimmsport in diesen zwei Jahrzehnten entwickelt?
Wir haben zunächst aus der Wendezeit einen unheimlichen Schwung mitgenommen. Vor 20 Jahren waren wir eine Macht im internationalen Schwimmsport, an uns ist kaum jemand vorbeigekommen. Schwimmen hat von dieser starken Medienpräsenz vor 20 Jahren sehr profitiert und lebt immer noch davon. Ich glaube aber, dass wir sehr vorsichtig sein müssen, diese Präsenz nicht zu verlieren. Weil wir zu wenige Gesichter, Charaktere und Persönlichkeiten haben. Wenn kein Nachwuchs kommt und wir international immer weiter ins Hintertreffen geraten, werden wir’s schwer haben. Einmal aus dieser ganzen Maschinerie raus, ist es umso schwieriger, wieder zurückzukommen. Darüber mache ich mir schon Sorgen.

Das große Ganze ist in Gefahr?
Randsportart hört sich immer so furchtbar an - aber wir finden ja immerhin noch öffentlich statt. Es gibt so viele tolle Sportarten, die gar nicht mehr im Fernsehen zu sehen sind. Ob im Rudern eine Europa- oder Weltmeisterschaft ist, erfährt man oft kaum. Wir haben noch die Möglichkeit, wir sind noch mittendrin. Wir müssen uns jetzt strecken und etwas dafür tun, dass man über uns spricht und über den Schwimmsport schreibt. Das ist ein toller Sport, aber wenn die Leistungen nicht kommen und wir auch in Zukunft weiter abbauen, drohen auch wir mehr oder weniger im Nirwana zu verschwinden.

Die Ursachenforschung ist ein weites Feld. Aber haben Sie ein Gefühl dafür, eine Meinung darüber, wo in der jüngeren Vergangenheit Entscheidendes falsch gemacht wurde?
Gerade im Schwimmsport steht und fällt sehr viel mit den Trainern. Ich glaube, dass die in den letzten Jahren etwas zu stiefmütterlich behandelt wurden. Dass dort weniger aufgepasst wurde, was trainiert und gemacht wird. Zudem hat vielleicht die eine oder andere Schulung gefehlt. Die Beachtung und Prämierung der Trainer war nicht so, wie das in anderen Ländern der Fall ist.

Wo sehen Sie weitere Versäumnisse des Verbandes?
Wichtig ist - und das hat der DSV in den letzten Jahren vielleicht ein bisschen verpasst -, sich auf Spurensuche zu begeben. Wenn man eine Athletin dabei hat wie Britta Steffen, die in Peking Doppelolympiasiegerin wird - da lässt man sich natürlich eher mal feiern und sagt: So schlecht waren wir ja nicht. Plötzlich sind wir im Medaillenspiegel ganz weit vorne und vergessen den ganzen Rest. Schon zu meiner Zeit gab es ein, zwei Protagonisten, die herausstachen, und es wurden die Augen davor verschlossen, dass weitere Spitzenschwimmer fehlten. Bei den Männern ist da immerhin noch Paul Biedermann, aber bei den Frauen fehlt eine wie Britta Steffen schon jetzt. Da muss sich eine Mannschaft neu ordnen, und es entsteht somit schnell eine abwartende Haltung: Na ja, von den Mädels im deutschen Schwimmteam müssen wir uns jetzt erst mal überraschen lassen.

Was erwarten Sie von den deutschen Schwimmern in Berlin?
Das ist eine Heim-EM, da kann alles passieren. Ich bin gespannt, ob sich eine Persönlichkeit herauskristallisiert. Sonnele Öztürk, die als hochbegabte Schwimmerin gehandelt wird, zum Beispiel: Ich bin gespannt, freue mich auf sie. Ich hoffe, dass es Überraschungsmeisterschaften werden, dass neben denen, die Medaillenchancen haben, auch die hervorkommen, mit denen man nicht gerechnet hat, bei denen man sagt: Wahnsinn! Dieses Über-sich-hinauswachsen funktioniert bei so einer Heimgeschichte immer noch ein bisschen besser als im Ausland.

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