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Acht Zigaretten für einen Mord

Im Berliner Willy-Brandt-Haus der SPD: Alfred Hrdlickas grafischer Zyklus zum 20. Juli 1944

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.

Der Tod, wenn er Bild wird, ist gewöhnlich Fährmann, Gespenst oder Knochenmann mit Stundenglas und Sense. Sonderbar aber, wie es zur Verbindung von Tod und Tanz kam - wo doch der Tanz die Äußerungsform des Lebens schlechthin ist. Bewegung und Spiel, Festlichkeit und Überschwang. Der Totentanz - wohl eine Paarung von überständigen dionyischen Ritualen und christlicher Todesverdüsterung. Vergänglichkeitsschauder, der sich im Schatten des Kreuzes noch einmal der verlorenen Freiheiten erinnert? Und waren die Kirchhöfe nicht Nachbarorte von Märkten, Promenaden, Asylbezirken, also von wirbelnder Lebendigkeit und Ausschweifung? Vor allem die als apokalyptisch erfahrene Pest des 14. Jahrhunderts löste im hoch erregbaren mittelalterlichen Bewusstsein eine wahre Prozessionsmanie aus, deren Exzesscharakter auch zur Geburtsstunde schreiender, beschwörender, selbstvergessener, wutblinder wie furchtzitternder - Todestänze wurde. Von Holbein bis Grieshaber, von Kubin bis Janssen zieht sich das Bild des Todes als Verführungs- und Vernichtungsmacht, und besonders der urkatastrophische Einschlag des Ersten Weltkrieges brachte zahlreiche Totentanz-Varianten hervor, albtraumhafte Stillleben etwa von Otto Dix - Agonie und Verwesung.

»Wie ein Totentanz - Die Ereignisse des 20. Juli 1944« heißt der Grafikzyklus von Alfred Hrdlicka, 53 Blätter, 1973/74 entstanden. Der Künstler nahm das gescheiterte Attentat auf Hitler zum Anlass einer Weltgeschichtsschau, sie offenbart den durchgehenden Gewalttrieb politischer Macht. Faschismusanklage in untrennbarer Nähe zum Verweis auf eine zeitlose menschliche Verfangenheit in ideologischen Lüsten und feigen Gefügigkeiten. Kapitalismushass, verknüpft mit Assoziationen zum jahrtausendalten Magnetismus der Todsünden. Die lange Spur der Widerstandskraft wie der Unbelehrbarkeit. Der Zyklus schlägt den Bogen von der Militärobsession des Preußischen bis zu Pinochets Massaker an Chile. Die Mörder gepanzert, die Opfer nackt; oft reißt eine entlarvende, sarkastisch böse Verzerrung die Bilder auf. Das Monströse ist für Hrdlicka nicht zu trennen vom Lächerlichen, aber dies Lächerliche des politischen Wahns ist kein Sieg über diesen Wahn, es zeigt dessen Wurzelung im Menschennatürlichen: Wir werden komisch, wo wir uns erheben.

Das Denkmal- und Mahnmalwerk von Hrdlicka steht unübersehbar an deutschen und österreichischen Orten, »nicht um Einigkeit herzustellen, die es nicht gibt, sondern um die Gegensätze in äußerster Schärfe zu fassen in dieser Unterwelt des Bewusstseins« (Volker Braun). Der letzte Bildhauer des konsequent verfleischten Steins. Und Seins. Dieses Werk, zu dem auch die Malerei, die Radierung, die Ätzung gehört, stemmt sich drastisch und fiebrig gegen das Wendige neuerer Denk- und Fühlweisen, die im prahlerisch-leeren Effekt ein annehmbares Heil suchen.

Hrdlicka, 1928 in Wien geboren, 2008 dort gestorben. Des Künstlers Kapital war sein Herz, das für den Geschundenen schlug. Und geschunden wird der Mensch immer. Von seiner Natur, von seiner Kultur, von seinem Glauben und seinem Unglauben, von seinen Kriegen, von seiner Langeweile im Frieden, von Evolution so sehr wie von Revolution, von seiner Vernunft ebenso wie von seiner wilden Urkraft der Triebe. Hrdlickas Werke verweisen auf eine Welt ohne Selbstbeherrschung: Den Grausamen ruft kein Gewissen zur Raison. Der Leidende gibt sich seinem Leid hin. Der Erotiker befriedigt seine Gelüste. Dieser Künstler war der Anwalt der Sehnen und Fasern, der Adern und Knochen, der Anschwellungen und Abmagerungen des Menschen, vor allem: seiner Brutalität. Quälender Bitterstoff: Was nur ist geschehen mit diesem Wesen Mensch, das zielbewusst denkend alle Grenzen niederreißen kann - und das doch der Jämmerlichkeit einer ewig verfehlten und verfehlenden Ratio ausgesetzt bleibt?

Hochfahrende Unterleiber, herablassende Oberhäupter - Hrdlicka, der mit links zeichnete und mit rechts schlug. Sein Obsessionscharakter, seine Antipathien gegen das Konforme, aller Krach also, den er je schlug - er entfachte ihn letztlich für die Wahrhaftigkeit, und die Wahrhaftigkeit dieses Werkes, um den Schriftsteller Martin Mosebach zu zitieren, besteht in keinerlei »Siegeszeichen für die nunmehr anbrechende Herrschaft des Guten«; dieses Werk aus lebendigen Vergangenheitsschmerzen ist umso bedrängender, »als ihm für die Zukunft keine Lehren zu entnehmen sind«. Wir wissen das doch: Antifaschismus ist nicht zu verordnen, Ehrfurcht vor Opfern nicht zu befehlen, immer ist in den Seelen weniger erreicht, als es uns öffentliche Riten weismachen wollen. Das ist der Schmerz jeder Erinnerungskultur. Aber sich diesem Schmerz zu stellen, ohne den Glauben an die guten Werke eines erschütterungsfähigen Gedächtnisses zu verlieren - das ist die Kunst. Die Kunst des Produzierens wie die Kunst des Sehens. Die des Lebens gar. Kunst, die sehr viel zu tun hat mit dem schwierigen Vertrauen in einen Menschen, der vieles will, eines freilich nicht: erzogen zu werden, verfluchterweise schon gar nicht im Namen des Guten.

Hrdlicka hat zu jedem seiner Blätter kluge Texte verfasst. »Erzzivilist« Casanova flieht 1764 entsetzt König Friedrichs Kasernen und den Kasernenhofton. Da ist auch Kleists Selbstmord - und Hrdlickas Nachdenken über die »Hybris der Staatsräson«. Dann: Gewehr bei Fuß bei der Reichswehr. Und natürlich zahlreiche Bilder zum Attentat 1944. Porträts der Verschwörer. Himmler lässt die Leichen der getöteten Verschwörer verbrennen; deren Asche, eine Windbeute. Zu einem der Blätter: »Freisler: ›Sie schmutziger alter Mann, was haben Sie andauernd an Ihrer Hose herumzufummeln?‹« - das Verhör des Feldmarschalls von Witzleben vor dem Volksgerichtshof, er darf keinen Hosengürtel tragen. Dann: »Alltag in Plötzsensee«, es ist der Alltag des tötenden Stricks - Erinnerung an die unbekannten Widerstandskämpfer. »Acht Zigaretten pro Hinrichtung« heißt ein Blatt. Hrdlicka nennt die Verschwörer des 20. Juli »brillante Militaristen«, er würdigt sie - ohne sie jedoch in jener bundesdeutsch probaten Weise zu heroisieren, die den kommunistischen, den antikapitalistischen Widerstand, der schon viel früher Blutströme auslöste, grundsätzlich und ausdauernd zur Hintergrundnotiz erniedrigt (man lese Hermlins »Die erste Reihe«!). Dann: ein gewisser Walter Rauff als deutscher Gast in der chilenischen Diktatur - unter Hitler ein Vergasungsexperte, jetzt, bei den Junta-Verbrechern, nur ein einfacher »Zivilist«. Hrdlicka: »Mit dieser bedenkenswerten Metamorphoses schließt der Zyklus.« Es gibt Dinge, die nennt man Tradition und erschrickt.

Du blickst auf Striche vor schwarzem Grund. Ätzung auf Zink. Kaltnadel. Du stehst vor düsteren Aquatinta-Gründen, als habe sich ein dunkles Geheimnis bereiterklärt, porträtiert zu werden. Es ist das Geheimnis, wozu der Mensch fähig ist. Das lüftet keine noch so politisch geschulte Geschichtsschreibung, wirft diese - gegen Worte wie »Katastrophe« oder »Ungeheuerlichkeit« - auch noch so bewährte parteiliche Definitionen aus der Lenin-Schule ins Feld. Goya war kein linker Historiker. Aber schon er malte, was auch Hrdlicka zeichnete: das, was alle Massaker letztlich so unbegreiflich macht. Trotz erklärender Imperialismustheorien und klarer Definitionen aus dem Klassenkampf-Lehrbuch. Hrdlicka, Bruder Goyas.

Obduktionen der bürgerlichen Lebensordnung könnte man nennen, was dieser Berserker der Anschaulichkeit in die Welt wuchtete. So sind auch seine Extrem-Stoffe, ob Attentat, Krieg oder Blutjustiz, im Grunde doch Versuche, den Schrecken als Steigerung von etwas trivial Beginnemdem aufzuspüren. Etwas, das verhängnisvoll Geschichte macht, ohne sich dessen bewusst sein zu wollen. Im Banalen wächst das Böse. Als Zeichen des Faschismus galt dem Bildhauer und Maler jedwede Kumpanei von Biederkeit und Verbrechen. Biederkeit, deren Tugendmaske beflissen posaunt, sie sei das Gegenteil von Verbrechen. »Scheiß Biertischpatrotismus«, sagte Hrdlicka gern, und wunderte sich sehr, wenn jemand darüber lachte.

»Wie ein Totentanz«. Willy-Brandt-Haus, Wilhelmstraße 140, Berlin-Kreuzberg, Di bis So 12 - 18 Uhr. Eintritt frei. Ausweis erforderlich. Bis 29. August.

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