Was Google nicht kann

Unabhängig vom individuellen, tatsächlichen Bedarf: Berlin schätzt seine Bibliotheken

  • Judith Rakowski
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Angst vor einem Aussterben der Bibliotheken ist unbegründet. Darauf lässt zumindest eine Umfrage zu deren Nutzung schließen.

Informationen sind heute in der Regel für jeden zugänglich. Bequem von Zuhause oder unterwegs liefert etwa Google binnen Sekunden tausende Ergebnisse zum gewünschten Thema. Die Informationsfülle des Internets ist unermesslich - braucht man da noch Bibliotheken, könnte man fragen.

»Ja«, lautete die Antwort auf diese Frage 90 Prozent aller befragten Berlinerinnen und Berliner. Und zwar unabhängig davon, ob sie selbst Nutzer sind oder nicht. Zum Thema »Akzeptanz und Zufriedenheit mit den Öffentlichen Bibliotheken in Berlin« wurden insgesamt 16 000 Bürgerinnen und Bürger befragt. Die überraschenden Ergebnisse wurden am Donnerstag vorgestellt.

»Viele Annahmen sind überholt, zum Beispiel das Profil der stillen Leseratte. Tatsächlich sind Nutzer öffentlicher Bibliotheken deutlich aktiver in Sachen Sport, Hobbies oder Weiterbildung«, erläutert Charlotta Hardtke-Flodell von der Projektleitung. Auch werden Bibliotheken der Umfrage zufolge heute deutlich vielseitiger genutzt. Neben der Ausleihfunktion für Bücher, Filme, Musik o.Ä. dienen sie als Arbeitsplatz oder Ort, um Freunde zu treffen, Veranstaltungen zu besuchen, im Internet zu surfen oder sich beraten zu lassen.

Die Angst, der digitale Wandel würde Bibliotheken überflüssig machen, ist unbegründet: »Die Menschen kommen, weil das digitale Angebot steigt, nicht trotz dessen«, so Steffan Rogge, Vorsitzender des Landesverbands Berlin im Deutschen Bibliotheksverbund. Sechs von zehn Befragten gaben an, die persönliche Beratung besonders wichtig zu finden. »Wer sich nicht mit den ersten zehn Treffern bei Google zufrieden gibt, findet bei uns kompetente Beratung und Recherchehilfen. Das kann kein anderer Beruf leisten«, stimmt Volker Heller aus dem Vorstand der Stiftung Zentral- und Landesbibliotheken Berlin zu.

Ziel des Befragungsprojektes ist es, die Nutzer Öffentlicher Bibliotheken und deren Bedürfnisse zu kennen. Dadurch sollen Dienstleistungen und Angebote zukünftig zielgruppengenau ausgerichtet werden. »Wir haben eine Art Marktforschung betrieben«, so Heller, »denn was heute gut ist, kann morgen schon ganz anders sein - besonders bei der rasanten technischen Entwicklung heute«. Und die letzte berlinweite Umfrage ist schon 20 Jahre alt, der bisherige Bibliothekenentwicklungsplan ist nur zwei Jahre jünger.

Auch für die Politik beinhalten die Ergebnisse »wertvolle Hinweise« und werden »nicht in der Schublade verschwinden«, erklärt Torsten Kühne, Stadtrat für Verbraucherschutz, Kultur, Umwelt und Bürgerdienste in Pankow. So gaben acht von zehn Befragten mit Migrationshintergrund an, öffentliche Bibliotheken als Arbeitsplatz zum Erlernen der Sprache, zu schulischen oder Studienzwecken zu nutzen. Damit spielen Bibliotheken auch für die Integrationspolitik eine Rolle.

Dem Wunsch vieler Bibliotheksnutzer nach längeren und flexibleren Öffnungszeiten ist jedoch bisweilen ein rechtlicher Riegel vorgeschoben. Ein Familiensonntag etwa ist bisher nicht möglich, da Bibliotheken sonntags nicht öffnen dürfen.

Die Studie zeigt, dass jeder dritte Berliner öffentliche Bibliotheken nutzt. Vielseitigere Freizeitgestaltung und bessere Erfolge in Schule, Studium oder Beruf sind dadurch möglich. Was schon lange vermutet wurde, konnte nun belegt werden: »Lesebiografien sind Erfolgsbiografien«, so Rogge. Ende dieses Jahres wird es eine dritte Umfragewelle geben, um genauere Ergebnisse auf Bezirksebene und einzelner Bibliotheken zu erhalten. Am Ende des Projekts soll ein neuer Entwicklungsplan inklusive Finanzierungsprogramm stehen. Es bleibt abzuwarten, ob die positiven Ergebnisse weitere Kürzungen aufhalten können. 1994 gab es noch 225 öffentliche Bibliotheken in Berlin, Ende 2014 werden es weniger als 80 sein.

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