Die meisten Ukrainer wollen Frieden

Viktoria Schilowa, Vorsitzende von AntiWojna: Ohne Verhandlungen droht die Zerstörung unseres Landes

  • Lesedauer: 4 Min.
Viktoria Schilowa ist Vorsitzende der ukrainischen Anti-Kriegs-Organisation AntiWojna und Abgeordnete in Dnjepropetrowsk. Als Professorin am Institut für Film und Fernsehen der Kiewer Nationalen Universität für Kultur und Künste wurde sie entlassen. Den Grund dafür sieht sie in ihrem politischen Engagement. Mit der Friedensaktivistin sprach für »nd« Tina Schiwatschewa.

nd: Wird der Waffenstillstand in der Ostukraine halten?
Schilowa: Er wird nicht halten, weil ihn die Mächtigen in Kiew nicht wollen. Doch derweil leben die Menschen im Donbass in der Hölle. Die humanitäre Lage ist katastrophal: kein fließendes Wasser, die sanitären Anlagen arbeiten nicht, es gibt keine Lebensmittel.

Sie haben Ihre Anstellung als Professorin am Institut für Film, und Fernsehen an der Kiewer Nationalen Universität für Kultur und Künste verloren. Hat das mit ihrem Kampf gegen den Krieg zu tun?
Ich habe versucht, einen ehrenvollen und wahrhaftigen Journalismus zu lehren, wurde aber beschuldigt, den Studenten Separatismus beizubringen. Seit ich eine anti-oligarchische Haltung einnehme und mich an meiner Universität gegen den Krieg einsetze, wurde ich als »Donbass-Separatistin« bezeichnet und entlassen. Es läuft eine Kampagne gegen die Bewegung »AntiWojna«. Der Fernsehkanal »1+1«, der dem Oligarchen Kolomoyski gehört, wirft Schmutz auf »AntiWojna« und mich.

Ich habe zwei Kinder. Uns wurde mit der Entlassung die Existenzgrundlage entzogen. Was aber immer der Preis sein mag, ich kann nicht gleichgültig gegenüber der Gesetzlosigkeit jener sein, die die Macht haben. Ich werde weiterhin Aktionen gegen den Krieg organisieren. Ich werde denen helfen, die mich darum bitten - wie Flüchtlinge und Kinder.

Wer unterstützt »AntiWojna«?
Nach Umfragen wollen mehr als 70 Prozent der Ukrainer Frieden und eine bedingungslose Einstellung des Krieges im Südosten. Das hat die Regierung völlig ignoriert. Inzwischen stürzt die Ukraine in den wirtschaftlichen Abgrund. Aber nun lassen sich die Probleme ja alle auf den Krieg zurückführen. Dank der von Oligarchen beherrschten Medien zeigt das Kiewer Regime ein allerdings nur virtuelles Bild seiner angeblichen Unterstützung durch das Volk. Leider darf die Wahrheit nicht verbreitet werden. Die Medien laufen Gefahr, sofort geschlossen und zum »Feind des Volkes« erklärt zu werden.

Sind Sie selbst in Gefahr?
Alle Proteste der Mütter gegen den Krieg wurden angegriffen. Die jüngsten Demonstrationen der Mütter vor der Werchowna Rada und der Präsidialverwaltung in Kiew wurden von Söldnern mit Sturmhauben, jungen Menschen in Sportkleidung und mit Waffen in ihren Händen beendet. Provokateure riefen zur Fortsetzung der »Anti-Terror-Operation« auf.

In Dnepropetrowsk ist die Situation sehr ernst. Zwei Anti-Kriegs-Aktivistinnen wurden eingesperrt. Trotz ihrer dreijährigen Kinder. Die 55-jährige Aktivistin Tatjana Tichomirowa wurde mit einer grünen chemischen Flüssigkeit übergossen. Um drei Uhr nachts wurde in ihr Haus eingebrochen. Es flogen Molotow-Cocktails. Natürlich habe ich Angst.

Wie stark ist die Unterstützung des Protestes durch die Bürger?
Die ukrainischen Massenmedien haben den Eindruck erweckt, dass die Kiewer den Krieg unterstützen. Dies ist katastrophal falsch und eine Verzerrung der Wirklichkeit. Unsere Anti-Kriegs-Aktion wurde in den sozialen Medien breit unterstützt. Wir machen Aufzeichnungen unserer Aktionen, die wir im Internet verbreiten.

Haben die Menschen eine reale Vorstellung von der Anti-Terror-Operation?
Die Gesellschaft ist sehr polarisiert wegen der Desinformationspropaganda der ukrainischen Medien. Einige Reporter zeigen Aufnahmen des Beschusses von Slawjansk, Lugansk und Donezk durch die ukrainische Armee und sagen, das sei Beschuss durch die Milizen. Internet-Interviews mit Menschen, die mit der Regierung unzufrieden sind, werden so bearbeitet, dass der Eindruck entsteht, die Leute sprechen über die Milizen. Die ukrainischen Medien berichten, dass die Milizen des Donbass Städte bombardieren. Dabei verfügen sie über keine Flugzeuge.

Die neueste »Innovation« der ukrainischen Behörden sind Diversionsbrigaden. Sie tragen St.-Georgs-Bänder wie sonst nur die russischen Soldaten. Dann wird an den Stadträndern von Donezk und Lugansk auf friedliche Zivilisten geschossen. Über 200 dieser »Freiwilligen« sind in Donezk von Milizen und einfachen Bürgern festgenommen worden.

Wie hat sich die Tragödie um die malaysische Passagiermaschine auf die öffentliche Stimmung ausgewirkt?
Diese Tragödie provozierte eine noch größere Welle des Hasses unter den Ukrainern und gegen Russland. Heute hat der Staat in der Ukraine keine Macht; die Macht liegt bei den Oligarchen, die sich in ihren Festungen verschanzen. Lynchjustiz, Überfälle, Entführungen - alles das hat sich beim Umgang mit den »Unerwünschten« in gängige Praxis verwandelt.

Halten Sie Frieden für die Ukraine angesichts all dessen denn noch für möglich?
Ich bin bereits seit vier Monaten in der Bewegung gegen den Krieg aktiv. Ich habe Bekannte sowohl in der Miliz als auch beim ukrainischen Militär. Auch dort ist die Stimmung strikt gegen den Krieg. Aber die Soldaten fürchten um ihre Verwandten, die von den Strafbataillonen der Nationalgarde verfolgt werden, wenn sie sich weigern, in der »Anti-Terror-Operation« zu kämpfen.

Auch heute ist der Frieden immer noch möglich. Aber nur, wenn alle Truppen die Feindseligkeiten einstellen und in Ruhe mit dem Donbass verhandelt wird. Die Menschen im Donbass haben nichts gegen die Ukraine und die Ukrainer. Aber sie lehnen kategorisch die Heuchler und Mörder ab, die in Kiew an der Macht sind.

Jeder neue Tote und jede neue Bombardierung führen nur weiter in eine totale Zerstörung unseres Landes im Kampf der Oligarchen.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal