Die Gefährlichkeit der Gurkengläser

Verfassungsgericht Sachsen-Anhalt verhandelt über Polizeigesetz

  • Hendrik Lasch, Dessau-Roßlau
  • Lesedauer: 3 Min.
Im Februar 2013 verschärften CDU und SPD in Sachsen-Anhalt das Polizeigesetz. Die Opposition zog zum Verfassungsgericht. Das hat jetzt verhandelt. Ein Urteil fällt im November.

Es gibt Passagen im Polizeigesetz von Sachsen-Anhalt, die Anlass zur Heiterkeit bieten. In Paragraf 94 räumt das im Februar 2013 von CDU und SPD beschlossene Regelwerk den Städten die Möglichkeit ein, Alkoholgenuss mancherorts zu verbieten. Es geht um Lärm, Wildpinkeln und Verletzungen durch Scherben - weshalb das Mitführen von »Glasgetränkebehältnissen« untersagt werden kann. Es sei aber »absolut unklar, was erlaubt und was verboten ist«, sagt der Berliner Jurist Clemens Arzt, der gestern eine Klage der Opposition vor dem Verfassungsgericht begründete. Auch Milchflaschen fielen faktisch unter den Passus. Das Gericht, merkt Präsident Winfried Schubert an, habe sogar gegrübelt, ob auch Gurkengläser betroffen seien. Manche Menschen, sagt Arzt, »trinken ja das Gurkenwasser«.

Es sind nicht allein derlei mögliche absurde Nebenwirkungen des Gesetzes, die 37 Abgeordneten von LINKEN und Grünen zu einer Normenkontrollklage bewogen haben - einem Instrument, das in Sachsen-Anhalt sehr selten bemüht wird. 2008 fühlte sich die damals oppositionelle FDP bei der Gemeindereform unzureichend beteiligt, verlor aber vor Gericht. Gar neun Jahre ist es her, dass die LINKE wegen eines Details beim Haushaltsrecht klagte und gewann. Die Klage gegen das, wie es offiziell heißt, »Gesetz über Sicherheit und Ordnung« aber wurde bereits angedroht, als Regierung und Koalition im Landtag noch viel Zeit für Korrekturen gehabt hätten.

Laut Opposition ist das Gesetz zum einen schlampig gearbeitet. Vertreter des Innenministeriums räumten gestern »redaktionelle Fehler« ein, weil etwa Querverweise ins Leere führen. Daneben aber wird kritisiert, dass für einen angeblichen Zugewinn an Sicherheit unzulässig in Grundrechte eingegriffen wird - obwohl der Bedarf oft zweifelhaft ist. So gibt es die Möglichkeit, polizeiliche Kontrollen per Videokamera aufzuzeichnen. So sollten Polizisten vor Angriffen geschützt werden, sagte gestern Innen-Staatssekretär Ulf Gundlach. Allerdings gab es in derlei Situationen binnen vier Jahren im Land nur zwei schwerer verletzte Beamte. »Wir sind nicht am Berliner Alexanderplatz, sondern in Sachsen-Anhalt«, sagt Arzt, »da bleiben die Fäuste eher in der Tasche.«

Auf Ablehnung trifft bei der Opposition auch ein Passus, der die Unterbrechung von Telefonaten erlaubt - entweder, indem Handys oder Funkzellen abgeschaltet, oder, indem Störsender eingesetzt werden. Das Ministerium sieht Bedarf bei Geiselnahmen oder einer angedrohten Fernzündung von Sprengsätzen. Arzt ist skeptisch: »Offenbar ist deutlich mehr gewollt.« Die Gesetzeslage könne zum Einsatz von Störsendern auch bei Demonstrationen führen. »Diese sind dann nicht mehr steuerbar«, sagt der Jurist: In Sachsen würden derlei Instrumente für Eingriffe in die Versammlungsfreiheit von der Polizei bereits »massiv genutzt«.

Viel Streit gab es schließlich bereits von Beginn an um sogenannte Zwangstests auf gefährliche Krankheiten. Ursprünglich war von HIV und Hepatitis die Rede gewesen; Schwulenvertreter waren auf die Barrikaden gegangen. Auch der vermeintlich entschärfte Passus könne »diskriminierend angewendet werden«, sagen Klagevertreter; Polizisten könnten eine Untersuchung anordnen, nur weil ein Verdächtiger »einem bestimmten Milieu angehört«. Das Gericht fragte in diesem wie allen anderen Punkten sehr detailliert nach. Ein Urteil soll am 11. November verkündet werden.

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