»Man darf sich nicht verrückt machen lassen«

Tierrechtsaktivist Jake Conroy saß vier Jahre in den USA im Gefängnis. Nach zehn Jahren kann er zum ersten Mal ins Ausland reisen - und von seinem Alptraum berichten

  • Jan Tölva
  • Lesedauer: 3 Min.
Jake Conroy wurde nie als Terrorist verurteilt, aber dennoch wie einer behandelt. Das kann jeden treffen, der sich mit den Großen anlegt, warnt er.

Nach 15 Jahren wurde die Kampagne gegen Tierversuche »Stop Huntington Animal Cruelty« (SHAC) diesen Sommer für beendet erklärt. Eigentlich hätte sie nie so lange laufen sollen. Mitte der 90er Jahre konnte die Tierrechtsbewegung in Großbritannien, wo die Kampagne ihren Ursprung hatte, einige Erfolge verbuchen. Mehrere Firmen, die Versuchstiere züchteten, wurden zur Aufgabe gezwungen. Bei den meisten dauerte es ein bis eineinhalb Jahre, eine gab bereits nach einer Woche Protest auf.

Auch im Fall der Firma Huntington Life Sciences (HLS), gegen die sich die Kampagne richtete, lief zunächst alles nach Plan. Mit versteckter Kamera gedrehte Videos sorgten für Empörung, große Demonstrationen für mediale Aufmerksamkeit. Nach kurzer Zeit wurde die Kampagne in den USA aktiv und setzte die Firma, die ihr Geld mit der Durchführung von Tierversuchen verdiente, dort unter Druck. Auf dem Höhepunkt fielen die Aktien von HLS von 30 Dollar auf nur noch wenige Cents; keine Bank und keine Versicherung wollte sich der Firma mehr annehmen. Wäre nicht die britische Regierung eingesprungen, wäre die Firma wohl am Ende gewesen.

Doch es kam anders, wie Jake Conroy berichtet, der gerade in Berlin seine Vortragsreise durch Europa abgeschlossen hat. Conroy war über Jahre Teil von SHAC in den USA. 2006 wurde er zusammen mit fünf anderen in einem Aufsehen erregenden Prozess zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. In der Tat waren im Namen von SHAC Dinge geschehen, die weit über die Grenzen der Legalität hinausgingen. Menschen wurden bedroht; es gab Brand- und Bombenanschläge. Doch nicht einmal das Gericht behauptete, Conroy und die anderen wären diejenigen gewesen, die diese Taten begangen hatten. Ihnen wurde vielmehr »Verschwörung« vorgeworfen. Sie sollten die Anführer einer Organisation gewesen sein, die keine Hierarchie hatte. Sie sollten Leuten Befehle erteilt haben, die schon die Idee von Befehl und Gehorsam ablehnen. Für den damaligen Staatsanwalt Chris Christie, heute Gouverneur von New Jersey und möglicher Präsidentschaftskandidat der Republikaner, dürfte die Vorstellung absurd gewesen sein, jemand handele autonom und nur dem eigenen Gewissen folgend.

Conroy kam in ein Bundesgefängnis mittlerer Sicherheitsstufe in der kalifornischen Wüste. Er galt dort als einer der zehn gefährlichsten Gefangenen. Als er einmal einen Blick in seine Akte werfen konnte, wusste er warum. Obwohl nie wegen Terrorismus verurteilt, wurde er als »Ökoterrorist« geführt. Seine Freunde durften ihn nicht besuchen, seine Post wurde zensiert, seine Telefongespräche aufgezeichnet. Es war keine einfache Zeit für ihn. Das merkt man noch heute und spürt, dass er einige Erfahrungen lieber für sich behält.

Fast zehn Jahre konnte er nicht reisen. »Dass ich jetzt hier in Europa bin, ist ein persönlicher Triumph«, sagt Conroy. Es ist ein Zeichen, dass der Alptraum wirklich vorbei ist. Heute hält er neben seinem Job als Grafikdesigner bei einer Umweltschutzorganisation Vorträge über seine Erfahrungen. Er denkt, dass Menschen in allen sozialen Bewegungen etwas davon lernen können. Immerhin kann es jeden treffen, der sich mit den Großen anlegt und zu sehr ins Rampenlicht gerät. Wie sein Fall belegt, muss man dazu nicht einmal etwas Verbotenes tun. Es kann schon ausreichen, darüber zu schreiben.

»Man darf sich nicht verrückt machen lassen«, sagt er. Tatsächlich nehmen seine Erzählungen der Institution Gefängnis ein wenig den Schrecken, auch wenn oder gerade weil er nichts beschönigt. »Ich bin ein ganz normaler Typ«, sagt er. »Wenn ich das aushalte, dann kann es jeder andere auch.«

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