Der Zorn der Arbeiter

»Die hellen Haufen« - Im Theaterforum Kreuzberg ist Volker Brauns Erzählung zu sehen

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 4 Min.

Kreisförmig und schneeweiß steht sie auf dem Boden, jene kämpferische Losung, die seit Jahr und Tag auf einer Steintafel des Thomas-Müntzer-Schachts in Sangerhausen zu sehen war: »Die Macht soll gegeben werden dem gemeinen Volk«. Es ist jenes gemeine Volk, dessen Schicksal an diesem Nachmittag verhandelt wird. Während draußen die Herbstsonne strahlt, will das Ensemble des »Simon Dach Projekttheaters« im finsteren Raum des Theaterforums Kreuzberg inmitten der jubelbesoffenen Mauerfall-Feierlichkeiten eine verdrängte Episode greifbaren Klassenkampfes reanimieren. Vergessen ist diese Episode, obwohl sie erst rund zwanzig Jahre zurückliegt.

Allerlei Kostüme und Requisiten deuten die Brisanz an, schon jetzt, vor dem Probenbeginn. Auf der Bühne gehen Männer und Frauen mit Tunnelblick auf und ab, murmeln Sätze wie »Der Aufstand, von dem hier berichtet wird, hat nicht stattgefunden« oder »Die Belegschaft bestimmt, was und wofür produziert wird, nämlich was sinnvoll ist«. Am Rand liegen Bergmannshelme, aus einer der hinteren Ecken sticht die dort abgestellte rote Fahne heraus. Während die Schauspieler, weiterhin Textversatzstücke vor sich hin sprechend, ihre silbrigen Grubenanzüge überstreifen, schreitet der Regisseur mit einem schweren Hammer quer übers Parkett. Ein Vorgeschmack auf das, was da kommen mag? Theater mit der Holzhammermethode?

Inhaltlich geht es hier definitiv ans Eingemachte, denn die Akteure bringen Volker Brauns 2011 erschienene Erzählung »Die hellen Haufen« zur Aufführung. Es gibt bereits eine Bühnenfassung von Steffen Mensching, die im Frühjahr 2013 am Theater Rudolstadt uraufgeführt wurde. Nun also eine neue Bearbeitung, die sich dem durch die Republik wabernden »Unrechtsstaats«-Einheitsbrei und der undifferenzierten BRD-Glorifizierung kunstvoll entgegenstellt. Um nichts anderes als die reale Geschichte des zu Beginn der 1990er Jahre von der Treuhand übel abgewickelten Kalibergbaus in Thüringen und Sachsen-Anhalt geht es hier. Damals, als im thüringischen Bischofferode die Arbeiter gegen die Schließung ihrer zuvor beachtlich florierenden Werkstätten protestierten.

Sie taten dies letztlich ebenso vergeblich wie die Mansfelder Kumpel, denen gar die Demütigung zuteil wurde, an der Vernichtung ihrer eigenen Arbeitsplätze mitzuwirken. Braun spinnt die tragische Story noch weiter: Im dritten Teil setzt ein fiktiver Bericht ein, der über den Zorn der Arbeiter fabuliert, die zu Hunderttausenden gegen das ihnen zugefügte Unrecht zu Felde ziehen. Ebenjenen dritten Teil möchte Regisseur Peter Wittig nun sehen von den Kollegen. Nach alter Schule siezt er seine Leute bei Nennung des Vornamens: »So, wir starten. Merlin, Sie gehen bitte voran!«

Acht Schauspieler wenden sich dem Publikum zu und intonieren chorisch den fiktiven Teil aus Brauns Text. Nachdem der Ärger sich angestaut hat, möchten sie jetzt die »Geschichte über den Rand schreiben«. Ihre kalte Enteignung wollen sie sich nicht bieten lassen, denn »dass man das Seine nicht hat, ändert nichts daran, dass es einem de jure gehört«. Hier sprechen die Arbeiter im Chor mit einer Stimme, eben als heller Haufen, und sie kennen auch ihren Feind. Es ist nicht eine Person, nicht ein Funktionär und erst recht nicht eine Partei, sondern ein Gesellschaftssystem, in welches man sie zu zwängen trachtet, das »den Gewinn maximieren will und nicht den Sinn«.

Die Protagonisten sind dementsprechend mehr Berichterstatter als Figuren. Dialoge finden kaum statt; sie sind aber auch nicht nötig, weil die Schauspieler das Nichtgeschehene vor den Augen der Zuschauer mithilfe der beseelten Sprache des Autors und ihres eigenen gestisch-mimischen Gespürs gekonnt vitalisieren. Gespielt wird nicht Braun pur, sondern Wittigs eigene Bühnenfassung. Vielleicht erklärt das die Sorgfalt, die er seinem Cast abverlangt. Immer wieder unterbricht der Spielleiter die Darbietung, weist auf Ungenauigkeiten hin, die zu diesem Probenzeitpunkt noch problemlos beseitigt werden können. »Langsame, glatte Sechzehntel«, hallt es vom Technikbereich herab, »kein Legato!«. Dem zähen Ringen des Ensembles um Konzentration und Präzision ist anzumerken, welch hartes Stück Arbeit ein solches Chorstück sein muss.

Die Situation spitzt sich zu. Nachdem das Nachdenken der Vordenker (etwa Pfarrer Schurlamm, der für Schorlemmer steht) nicht gehört wurde, gehen die Arbeiter dazu über, die zwölf »Mansfelder Artikel« zu proklamieren. »Die Arbeit ist gerecht zu verteilen«, rufen sie da. Oder: »Schädliche Arbeit und schädliche Produkte sind untersagt.« Da klingelt auf der Zuschauertribüne ein Handy. Es ist das mobile Telefongerät des Regisseurs. Gedämpft durch eine Tasche, dringt der Sound des Klassenkampfes durch, denn es ertönt die von Hanns Eisler komponierte Melodie zum Lied »Der heimliche Aufmarsch«. Im Refrain gibt es die Zeile: »Arbeiter, Bauern, nehmt die Gewehre zur Hand!« Welch Zufall, der ideal zur Haltung dieser Inszenierung passt.

Gleicht die Aussage des Songs doch jener, die Wittig in seine Aufführung integriert hat. Am Ende nämlich schlägt die Bundeswehr die Proteste blutig nieder. In des Regisseurs Deutung ist es nichts anderes als die Gewaltlosigkeit der meisten Demonstranten gewesen, die den Erfolg verhindert hat. Wittig unterstreicht dies mit einem Auszug aus Volker Brauns »Werktage 2«: »Treuhandchef Detlev Rohwedder ermordet. Eine schreckliche, unbegreifliche Tat? Nein! Eine schreckliche und begreifliche Tat!« Wahrlich, das ist Theater mit dem Holzhammer. Aber mit einem wohl geschliffenen.

Vorstellungstermine: 17., 18., 19., 24., 25., 26.10. um 19.30 Uhr im Theaterforum Kreuzberg.

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