Kanada rätselt über den Angreifer von Ottawa

Motiv des Todesschützen unklar / Regierung kündigt stärkeres Engagement des Landes gegen den internationalen Terrorismus an

  • Lesedauer: 3 Min.
Fanatisch oder seelisch gestört? Einen Tag nach dem tödlichen Attentat spekuliert Kanada über die Hintergründe des mutmaßlichen Täters. Obwohl er den Behörden polizeilich bekannt war, bleiben Zweifel an seiner Schuldfähigkeit.

Ottawa. War es ein Islamist oder ein Verrückter? Nach dem Angriff auf das Parlament in Ottawa fragten sich das die Kanadier. Auch am Tag nach der Attacke mit einem toten Opfer und einem toten Täter sind viele Fragen noch ungeklärt, doch die Antwort könnte lauten: Möglicherweise war er beides. Nach und nach verdichtet sich das Bild eines Menschen, der vom Islam angezogen war, von Bekannten aber auch als verwirrt bezeichnet wurde.

Das Denkmal für die kanadischen Gefallenen aller Kriege steht gleich beim Regierungsgebäude in Ottawa, nur auf der anderen Seite der Straße. Am Mittwochmorgen schoss ein ganz in schwarz gekleideter Mann einen der beiden Ehrenwache stehenden Soldaten nieder. Dann reckte er Augenzeugen zufolge triumphierend seine Faust. Das Opfer, ein Reservist, starb Stunden später im Krankenhaus.

Der Angreifer gelangte in das Parlament, durch dessen steinerne Gänge Dutzende Schüsse hallten. Premierminister Stephen Harper und die Chefs der drei anderen großen Parteien waren im Haus, wurden aber schnell in Sicherheit gebracht. Letztlich war es Medienberichten zufolge der Sicherheitschef des Parlaments selbst, der seine Pistole griff und den Mann niederschoss - unmittelbar vor dem Sitzungssaal. Bisher kannten die Kanadier nicht den Namen dieses Kevin Vickers, nur die Bilder, wenn er vor Parlamentssitzungen das alte Zepter in den Saal trägt. Jetzt ist der 58-Jährige ein Held.

Und der Angreifer? Michael Z. soll er heißen und 32 Jahre alt sein. Er hat eine Vergangenheit mit Vorstrafen und Drogen. Das melden kanadische Medien, die Polizei sagt nichts. Z. wurde in Kanada geboren, soll aber auch einige Zeit in Libyen gewesen sein. Vom Islam habe er sich angezogen gefühlt und immer wieder eine Moschee besucht. Also ein hartgesottener Islamist, wie der Times-Square-Bomber in New York oder die Attentäter von Boston? »Ich denke, er war geisteskrank«, zitiert die »The Globe and Mail« einen Freund des mutmaßlichen Täters. Er sei ihm nicht extremistisch erschienen, habe aber oft davon gesprochen, vom Teufel verfolgt zu werden.

Haben die kanadischen Sicherheitsbehörden versagt? Z. war als »Reisender mit hohem Sicherheitsrisiko« eingestuft, ganz unbekannt war er also nicht. Laut CNN steht er auf einer Liste von 90 Personen, die wegen einer Terrorgefahr beobachtet werden. Auch der britische »Guardian« schrieb von einem »spektakulären Versagen« des Geheimdienstes. So habe Michel Coulombe, Direktor des Canadian Security Intelligence Service, erst vor zwei Wochen vor dem Parlament gesagt, die Gefahr terroristischer Anschläge sei real, es gebe aber kein Anzeichen für ein bevorstehendes Attentat.

Konnte man die Pläne eines Verwirrten ahnen? Oder war Z. doch kaltblütiger, als es zunächst den Anschein hatte? Sein Ziel wird er vermutlich nicht erreichen. Kanada ist stolz darauf, dass seine Institutionen nicht zu Festungen ausgebaut sind wie beim Nachbarn USA. So soll es auch bleiben, versicherten Politiker. Und Premier Harper beteuerte, dass sich Kanada nicht einschüchtern lasse. Kanada ist an den Luftschlägen gegen die Terrormiliz Islamischer Staat beteiligt. Nach der »brutalen und gewalttätigen Tat« kündigte Harper ein stärkeres Engagement seines Landes im Kampf gegen den internationalen Terrorismus an. dpa/nd

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