Repression kontra Recht

Arthur Baumgartens Lob des illusionslosen Marxismus

  • Detlef Joseph
  • Lesedauer: 3 Min.
Schon allein die Tatsache, dass rechtsphilosophische Literatur marxistischen Kolorits heutzutage keine Chance hat, an bundesdeutschen Lehranstalten positiver Gegenstand juristischer Ausbildung zu sein, lässt der Herausgabe dieses Buches höchste Anerkennung zukommen. Der geneigte Leser kann zur Kenntnis nehmen, dass eine Annäherung an marxistisches Denken keineswegs das Ergebnis einer »ideologischen Zwangsforderung« sein muss, sondern Bestandteil wissenschaftlicher Erkenntnis gesellschaftlicher Gegebenheiten auch in der Entwicklung und im Wirken des Rechts. Da werden Prinzipien und Merksätze formuliert, die dem heutigen Zeitgeist gemäß ignoranter Nichtachtung unterliegen. Die »Methodenlehre« des Arthur Baumgarten ist geeignet, der Totaldiskreditierung marxistischen Denkens überzeugend Paroli zu bieten. Der Rechtswissenschaftler, der aus dem faschistischen Deutschland hatte emigrieren müssen, veröffentlicht diese 1939 in Bern. Seitdem ist es nicht mehr publiziert worden. Zu lesen sind Sätze wie: »Der Marxismus hat das große Verdienst, der Illusion, dass das Recht ausschließlich von ideellen Kräften getragen sei, ein Ende bereitet zu haben.« Niemand könne mehr in Abrede stellen, dass das Recht keineswegs nur einem sittlichen Prinzip diene, wie etwa der Gerechtigkeit, sondern sich in hohem Maße dem Egoismus der das Wirtschaftsleben beherrschenden Klassen gefügig erweise; für das antisoziale Verhalten der Individuen sei die Gesellschaft mitverantwortlich; das Recht sei Schlichtungsinstrument der um die gesellschaftliche Macht kämpfenden Klassen; der Krieg habe von jeher zum Geschäft des Kapitalismus gehört; wer im Kampf gegen das Verbrechen dem Übel die Axt an die Wurzel legen wolle, der müsse die Gesellschaft so umgestalten, dass sie aufhört ein günstiger Nährboden für das Verbrechen zu sein; die Grundstruktur des Privatrechts werde nicht durch den Willen der Vorsehung bestimmt, sondern im Wesentlichen durch den Willen der besitzenden Klasse; die kapitalistische Privatwirtschaft spalte die Staaten im Innern und fordere als Gegenmittel gegen ihre desintegrierenden Tendenzen den Krieg im Außenverhältnis; solle das Völkerrecht zu einer verlässlichen Friedensordnung werden, müsse es sich als eine Organisation darstellen, die in den Völkern das Gefühl der Zusammengehörigkeit entstehen lasse, indem sie alle zu einer großen Arbeitsgemeinschaft vereinige; volle Freiheit sei der Wissenschaft nur in einer Gesellschaft beschieden, aus der die Klassengegensätze und der kriegerische Machtwille der Völker verschwunden seien. Allein schon diese Sätze machen auf das gesamte Buch neugierig. Zumal wenn man bedenkt, dass die Glorifizierung des bundesdeutschen »Rechtsstaats« und seines Rechts in den Medien geeignet ist, die Wirklichkeit schlicht zu verschleiern. Herausgeber Hermann Klenner betont: Auch für die Rechtswissenschaft gelte die Erkenntnis, dass zur Wahrheit nicht nur das Ergebnis gehört, sondern ebenso der Weg zu ihr. Mit dieser Methodenlehre gewinnt selbst der juristische Laie eine Vorstellung davon, dass das methodisch-theoretische Handwerkzeug eines Juristen sowohl zum Verwirklichen von Gerechtigkeit als auch zum Gegenteil einsetz- und missbrauchbar ist. Herausgehoben sei auch die Sprachgewalt Baumgartens. Bekanntlich ist die juristischer Sprache nicht gerade lebendig, klangvoll und verständlich, eher trocken und verkorkst. Baumgartens Vorträge und Texte hingegen waren stets »von hinreißendem Zauber«. Ihm sei die seltenen Gabe eigen gewesen, »vorurteilsabbauend und überzeugungsverändernd« gewirkt zu haben Und zweifellos dürfte auch der juristische Laie von der hier angezeigten Schrift Baumgartens gefangen genommen werden, die schwierige Materie verstehen und sich ein Bild davon machen können, wie segensreich Recht sein und wirken kann, wenn die Verhältnisse es zulassen. Repression allein jedenfalls ist Recht nicht zwingend Eigen. Linksorientiertes Nachdenken über das Recht ist heute wieder verpönt. In biografischen Publikationen renommierter bürgerlicher Autoren wird Baumgarten mit keiner Zeile gewürdigt - eine juristische Unperson. Allein aus Trotz dagegen sollte man dieses Werk in die Hand nehmen und lesen - Gewinn ist garantiert. Arthur Baumgarten: Grundzüge der juristischen Methodenlehre. Hg. von Hermann Klenner. Rudolf Haufe Verlag, Freiburg/Berlin 2005. 362 S., geb., 50 EUR .
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