Bio-logische Systeme

Die Inselgalerie zeigt drei vergessene Künstlerinnen: »Wieder im Licht«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Was jene drei Künstlerinnen vereint, die von der Inselgalerie eben »Wieder im Licht« gezeigt werden, sind kaum künstlerische Gemeinsamkeiten, dafür eher allgemeinmenschliche. Wenngleich verschiedenen Generationen zugehörig, haben sie alle drei um den bildkünstlerischen Ausdruck gerungen, der ihnen vor Augen schwebte und der sie bisweilen einer offiziellen Kunstpolitik entrückte. Berlin, eine in Ost, die anderen in West lebend, war lange ihr Wirkungszentrum; den letzten verheerenden Krieg haben die zwei älteren teils heftig zu spüren bekommen. Was das Trio überdies verbindet: In Berlin haben alle studiert, doch aus dem öffentlichen Bewusstsein sind sie nun weitgehend verschwunden, im harschen Widerspruch zur Qualität ihres Œuvres. Zeit also für eine Wiederentdeckung.

Mit Jahrgang 1908 ist Elfriede Stegemeyer die Seniorin, sie, die sich nur schwer zwischen Naturwissenschaft und Kunst zu entscheiden wusste, vorerst in Köln der Fotografie zuwandte und dort Mitglied einer Widerstandsgruppe wurde. Eine Bombe vernichtete 1943 alle frühen Arbeiten. Als Elde Steeg wagt sie malend den Neuanfang, übersiedelt 1961 als Trickfilmerin nach München, experimentiert ab 1974 mit, wie sie es nennt, Serien von »bio-logischen Systemen«. Aus der Zeit zwischen 1976 und 1987, ein Jahr vor ihrem Tod, datieren die 14 ausgestellten Exponate. Nachdenklich, schon gefurcht, blickt sie von einem Selbstporträt in Öl auf eines ihrer Raumbilder: Rote Fäden spannen hinter Plexiglas dreidimensional ein Gewebe auf. Vor einem Spiegel und ebenfalls hinter Glas scheinen beschnittene Fotos von Fußballern, Altbauten, Baracken, Handwerkern, Oma und Enkelin Elefanten zu formen, die sich zweifach spiegeln, nach innen und auch an einer Mittelachse. »Multiplikat« heißt technisch dieses Exponat. Mit Spiegeleffekten bei Fußballern arbeiten weitere Collagen: Das Foto wird mit Bleistift oder farbig symmetrisch und/oder spiegelverkehrt erweitert. Einen Schritt weiter in der Abstraktion gehen jene »bio-logischen Systeme«. In dichter Packung türmen sich amorphe Rundformen zu Schichten oder pulsen dynamisch wie ein Gewirr aus Chromosomen unterm Mikroskop. Wohlgefällig verliert sich das Auge auch in Scharen von »Isobaren« oder lässt sich von wölkenden Wellen in einen Wirbel mit zentralem »schwarzem Loch« hineinziehen.

Auch Toni Mau kam in Berlin zur Welt, 1917, im vorletzten Jahr des Krieges. 1945 war sie Zeichenlehrerin für die Rote Armee, zog 1949 in den Ostteil der Stadt, wurde 1953 als Dozentin für Malerei an die Kunsthochschule Weißensee berufen, schuf viele Porträts Werktätiger. Dennoch fiel sie unter das Verdikt des Formalismus, musste 1957 die Kunsthochschule verlassen, begann 1966 neu: Sie war es, die in der DDR die Siebdrucktechniken populär machte und bis zu ihrem Tod 1981 fortentwickelte. Gut 30 Arbeiten aus einem Vierteljahrhundert intensiver Suche und großartigen Findens sind zu besichtigen. Sind »Landschaft« und »Menschengruppe« aus den 1940ern noch gegenständlich - Felder unterm Sommerglast in der Abenddämmerung, eine Komposition aus Schemen auf, hinter einer Bank -, löst Mau die Motive auf den Grafiken bald ins Surreale, Fabelhafte, höchst Fantasievolle, oft pfiffig Ironische auf, Arcimboldo oder Klee assoziierend. Tierwesen bevölkern die Blätter und beulen sich kubistisch als Zirkusartisten aus, Saurier und Riesen drängen sich in Serien. Es gibt auch Düsteres: den im Wortsinn von visionären Wesen »Besessenen Wolf«; die auf bleckendem Wolf schrecklich sich reckenden Reiter der Apokalypse; den tief berührenden »Ikarus« im Moment des Sturzes mit gebreiteten Flügeln und unter einer schwarzen Sonne, abstrahiert all dies zum dürren Strichgerüst.

Aus den 1960ern stammen warmherzige Porträts, so besonders die Ölskizze »Wolfgang« und ein Selbstporträt in Siebdruck, klug und reserviert dreinblickend. Derartige Motive wird man bei der 1945 in Coburg geborenen Johanna Schoenfelder vergeblich suchen. Ihre rund 30 Exponate sind menschenfrei und zeigen in überaus ziselierter Zeichnung Landschaften, die man durch fein ornamentierte Rahmen sieht. Das erzeugt den Eindruck opulent barocker Bühnenbilder: mit Hausfassaden, bröckelnden Torbögen, geometrisch beschnittenen Gärten, mäandergemusterten Pyramiden, dem Turm zu Babel oder im luxuriösen Bad. Als sei sie auf Leonardos Spur, entlädt sich Schoenfelders Fabulierkunst zudem in abstrakten Maschinengebilden. In ihrer Welt gebe es keine Menschen, aber das Ergebnis ihrer Handlungen, kommentiert die 2011 verstorbene Künstlerin. Auch sie: eine überaus anregende Begegnung. Als Sonderedition ist eine ihrer Radierungen von 1972 zu erwerben.

Bis 29.11., Inselgalerie, Torstraße 207, Telefon (030) 279 18 08, www.inselgalerie-berlin.de

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