Von High End zum Wegwerfartikel

  • Jan Bojaryn
  • Lesedauer: 1 Min.
Sonys Playstation hat aus kleinen Spielen große Unterhaltung gemacht. 20 Jahre später steht sie vor ihrer größten Herausforderung: Sie muss sich selbst abschaffen.
playstation
Lediglich das Innenleben der Playstations (hier PS1) hat sich in 20 Jahren optisch kaum verändert.
Foto: Rick Dikemann/ CC3

Die Erfolgsgeschichte der Playstation hängt eng mit einem Rennspiel zusammen. „Ridge Racer“ kam direkt aus der Spielhalle auf die Spielkonsole. Heute wirkt es mit seinem minimalistischen Spielprinzip, dem grobkörnigen Boxenhäschen und dem ausgeflippt schreienden Sprecher naiv. Mitte der Neunziger Jahre aber übertrat das Spiel, und mit ihm die Playstation eine Grenze. Als ich „Ridge Racer“ das erste Mal bei einem Schulfreund sah, endete meine Kindheit. Offenmäulig saßen wir auf seinem Bett und starrten auf den kleinen Röhrenfernseher. Videospiele waren jetzt kein Spielzeug mehr. Sie gehörten in das Wohnzimmer.

Die Playstation hatte kein Maskottchen. Sie hatte ein CD-Laufwerk


Das erfolgreichste Spiel der jungen Playstation: Ridge Racer

Viele der größten Erfolge auf der Playstation waren nichts für Kinder. Autorennen, Horror und Action setzten auf der Plattform technische und kreative Maßstäbe. Nintendo, bis dahin König im Ring, agierte hartnäckig wie eine Spielzeugfirma. Spiele von Nintendo waren familienfreundlich. Maskottchen war der pummelige Klempner Mario. Die Playstation hatte kein Maskottchen. Sie hatte ein CD-Laufwerk. Die Konkurrenz-Konsolen besaßen noch Modulschächte für die klobigen Plastikkassetten, in denen Spiele damals steckten. Man musste gelegentlich hereinpusten, wenn sich Staub auf die Kontakte gelegt hatte. Die flache CD wirkte dagegen neu und sexy. Hier hatten Spiele zwar plötzlich lange Ladezeiten, aber dafür hielten Videoschnipsel, oder Ton in hoher Qualität Einzug (und Raubkopien).

Videospiele konnten jetzt Entertainment sein, auf Augenhöhe mit anderen Medien. Da konnten Besitzer eines PCs noch so altklug auf ihre viel komplexeren, intelligenteren Spiele zeigen - dem Massenpublikum waren sie so egal wie Programmkino oder Lyrik. 100 Millionen Menschen kauften eine Playstation, jeder zehnte besaß die Rennsimulation „Gran Turismo“. Das war ein neuer Maßstab. Bald sagte man „Playstation“, wenn man „Spielkonsole“ meinte – so, wie man einst „Nintendo“ gesagt hatte. 

Es geht vor allem um den größeren Hype die bessere Werbung und den niedrigeren Preis


Natürlich ging mit der Dominanz auch etwas verloren. Große Spielefirmen mochten nicht mehr in bescheiden profitable PC-Spiele investieren. Ganze Genres wurden zu unbedeutenden Nischen erklärt. Die Suche nach sicheren Erfolgen brachte immer einheitlichere Action-Adventures hervor – ein Trend, der bis heute anhält. Sega, der ehemalige große Konkurrent von Nintendo, wirkte nun völlig überflüssig. Einst machte Sega die erwachseneren Spiele. Aber gegen den Technologie- und Unterhaltungsgiganten Sony wirkte der Konzern verqualmt und altbacken.

Resident Evil war nicht nur verdammt gruselig, sondern sah auch unglaublich gut aus.

Vor allem das Image hat die Playstation erfolgreich gemacht. Und in den Jahrzehnten seitdem ging es immer wieder vor allem um den größeren Hype, die bessere Werbung und den niedrigeren Preis. Letztendlich wurde das liebevoll „Konsolenkrieg“ getaufte Duell der wechselnden Kontrahenten immer nur von künstlich hergestellten Unterschieden bestimmt. Die realen waren eher klein. Statt der Playstation 1 hätte man auch das Nintendo 64 besitzen können, statt der Playstation 2 die Xbox von Microsoft. Den Unterschied machten Exklusivtitel, also Spiele, die man nur auf einer bestimmten Konsole kaufen konnte. Während Nintendo eine Gamedesign-Kultur im eigenen Haus pflegte, konnte Sony vor allem unabhängige Spielefirmen auf seine Seite ziehen. Immer zahlreicher folgten die ihrem Publikum auf Sonys Plattform. Das Rollenspiel „Final Fantasy 7“ oder der Horrortitel „Resident Evil“ setzten visuelle Standards.

Kreative Impulse setzen nun Indie-Spiele für eine handvoll Euro


Die zweite Playstation war gar nicht mehr zu schlagen. Sie erschien 2000, sah aber aus wie der schwarze Monolith aus dem Science-Fiction-Film „2001“. David Lynch drehte einen verstörenden Werbespot, in dem eine sprechende Gans Spieler im „Third Place“ willkommen hieß. Der Hybris waren keine Grenzen mehr gesetzt. Wichtig war nur noch die Marke, und die Exklusivtitel, die sie anzog. Vor allem filmischere Spiele wurden zum kulturellen Phänomenen. „Metal Gear Solid 2“ sah aus wie ein spielbarer Agententhriller, „Fahrenheit“ wie ein düsterer Krimi, „Silent Hill 2“ wie ein psychologischer Horrorfilm.

Verkaufsrekorde, Spiele in Kino-Optik und ein Werbespot von David Lynch

Die Rekordmarke von über 150 Millionen verkauften Heimkonsolen hat nach der Playstation 2 niemand mehr erreicht. Seitdem hallt die goldene Ära nur noch nach und klingt aus. Die Playstation 3 war 2006 mit ihrem eingebauten Blu-ray-Player fast ein teurer Flop. Mit der billigeren Playstation 4 ist Sony seit dem Start Ende 2013 erfolgreich. Aber die neuen Spielekonsolen geben nicht mehr den Ton an. Spiele-PCs haben mehr Leistung. Kreative Impulse liefert eine Indie-Szene, und die verkauft ihre Spiele für eine handvoll Euro überall; auf Konsolen, auf Computern und auf Handys. Was man auf der Playstation 4 spielt, kann man größtenteils auch anderswo spielen.

Die Playstation ist von der Next-Gen-Konsole zum Wegwerfartikel geworden


Das Konzept der abgeschlossenen Spielkonsole ist zum Anachronismus geworden. Technologie ist ein Wegwerfartikel. Eine Plattform, die sich in fünf Jahren nicht wesentlich verändert, muss irrelevant werden. Das weiß auch Sony. Die Frage ist, wie man sich am besten überflüssig macht. Microsoft hat mit der Xbox One versucht, die Konsole als lernendes Multimedia-Center mit einem immer sehenden Kameraauge zu definieren. Das ist gescheitert. Sony hat die Playstation 4 zur nüchternen Spielekiste erklärt. Das ist besser gelaufen. Aber was soll in Zukunft passieren?

Sony versucht immerhin, Antworten zu finden. Die billige Minikonsole Playstation TV erschien vor Kurzem. Auf ihr spielt man etwas ältere und billigere Spiele, sie ist klein wie ein Handy. Neue Titel will Sony als Stream aus dem Internet schicken; nicht nur auf die Minikonsole, sondern auch auf Handys und Fernseher. Ob das hilft, ist zweifelhaft. Und die Playstation 4 sieht in dieser Onlinewelt endgültig nach einem Dinosaurier aus. Ihr bleiben nur Software-Updates, um auf die rasanten Veränderungen zu reagieren. Aber sie bleibt eine beliebige Kiste ohne Alleinstellungsmerkmal. Vielleicht schließen wir in Zukunft kleine PCs an den Fernseher an. Oder unser Handy. Oder gar nichts, und der Fernseher kann das alles selbst. Aber Sony verkauft ja auch Fernseher.

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