«Das komplett andere Leben»

Gelungene Inszenierung eines Brandenburger Verfassungsschutzspitzels beim NSU-Prozess

  • René Heilig, München
  • Lesedauer: 5 Min.
Gut gefüllt war die Tribüne, als der NSU-Prozess in München am Mittwoch fortgesetzt wurde. Ein höchst dubioser Ex-V-Mann aus Brandenburg mit dem Decknamen «Piatto» war als Hauptdarsteller geladen.

Kommt er mit Sonnenbrille? Trägt er einen Bart? Wie verfremdet der Geheimdienst «Piattos» Stimme? Journalisten-Kollegen spöttelten, der Zeuge könnte mit Ku-Klux-Klan-Hauben erscheinen. Schließlich hat er sich in seiner Jugend zum brennenden Kreuz im Brandenburger Wald «verlaufen» und Kontakte über den Teich unterhalten.

Als der etwas massig gewordene Szczepanski dann neben seiner vom Land Brandenburg gestellten Berliner Rechtsanwältin am Zeugentisch Platz nahm, war man enttäuscht: Perücke und Brille, die Kapuze war nur die eines Shirts.

Carsten Szczepanski war laut Geheimdienstangaben vom Juli 1994 bis Juni 2000 «Piatto” und wurde unter der Quellennummer 370 004 geführt. Das Datum scheint strittig, denn der Zeuge erinnert sich, dass er bereits 1991 von einem Verfassungsschützer in der Justizvollzugsanstalt Königs Wusterhausen besucht worden sei.

Der Geheimdienst datiert den Besuch auf 1994 und nennt die JVA Brandenburg als Treff. Unter welchem Namen der Mann heute wo und wovon lebt, bleibt unbekannt. Er ist seit 2000 höchst sorgsam im Zeugenschutzprogramm versteckt und hätte nach dem ursprünglichen Willen seines ehemaligen Potsdamer Auftraggebers in dem Münchner NSU-Prozess eigentlich gar nicht aussagen sollen .

Dabei ist er gerade dort eigentlich unverzichtbar, wenn stimmt, was der Verfassungsschutz behauptet. Der Mann habe »als bundesweit einzige Informationsquelle weiterführende Hinweise auf den Verbleib dreier flüchtiger Neonazis in Thüringen« geliefert. Gemeint sind Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und die in München angeklagte Beate Zschäpe, also der mutmaßliche Kern des NSU.

Zugleich berichtete Szczepanski, alias »Piatto«,- der wegen versuchten Totschlags im Knast saß, als er zum V-Mann bestellt wurde - über die Suche nach Waffen für das Trio. Zumindest in drei sogenannten Deckblattberichten des Brandenburger Dienstes ist das Thema als Informationen von Quelle »Piatto« vermerkt. Auch von Überfällen und dem angeblichen Wunsch der Jenaer Bombenbastler, sich ins Ausland abzusetzen, soll der Spitzel informiert haben.

Noch enttäuschender als die banale Maskerade waren »Piattos« Erinnerungen. Eigentlich schien er gar keine zu haben. Auch hat er offenbar selbst an keinen Aktionen oder Demonstrationen der Naziszene teilgenommen. Da fragt sich schon, wie er einen solchen Stand in der Szene erreichen konnte, der für den Schutz der Verfassung so wertvoll war, wie der Geheimdienst behauptet!

»Piatto« hatte Kontakt zu Jan Werner aus Chemnitz, dem Boss der sächsischen Blood&Honour-Sektion, zu dessen »rechter Hand« Thomas Starke, gleichfalls ein Zuträger, zu Anke und Michael Probst, die beide einen Szeneladen in Limbach-Oberfrohna betrieben und Szczepanski einen Arbeitsvertrag gaben, um ihn aus dem Knast zu holen.

Der Zeuge machte allgemeine Angaben, bewertete Blood&Honour als »absoluten Hardliner-Verein« in der rechtsextremen Szene. Die Mitglieder hätten aus »ihrer nationalsozialistischen Gesinnung keine Hehl gemacht«. Und doch sei es eigentlich nur um Musik gegangen. Er gab zu, das Thema Waffen sei in der Szene »tagesaktuell« gewesen.

Doch der Mann, der als Neonazi in anderem Zusammenhang selbst Waffen beschafft hat, wusste als Zeuge im NSU-PRozess über konkrete Beschaffungsbemühungen angeblich »gar nichts«. Außer dass Waffen Statussymbole waren, mit denen man sich auf »den Tag X«, also den Zusammenbruch des Systems, vorbereitete. Auch haben sich Rechte zum Selbstschutz bewaffnen wollen. Es gab ja »konkurrierende Banden« wie Hammerskins und Linke.

Nicht sonderlich geschickt wollte der Vorsitzende weiter bohren und führte die Begriffe Waffen und Überfälle zusammen. Da erinnerte sich Szczepanski an die »Turner Tagebücher« aus den USA. Die habe er auch gelesen, darin werden Banküberfälle und solche auf Geldboten propagiert. Mit der Beute sollten neue Waffen beschafft werden. Das hat man in der Tagespresse alles schon detaillierter gelesen.

»Combat 18«, der bewaffnete Arm von Blood&Honour? Der sei in Deutschland, zumindest aber in Sachsen nur so eine Idee gewesen. Überfälle auf konkrete Personen? Nein, davon weiß der Mann, der selbst solche in Brandenburg organisiert hat, nichts. Als der Vorsitzende dann noch das Wort »Ausländer« in eine entsprechende Nachfrage einwob, rief das die Zschäpe-Verteidigung auf den Plan. »Suggestiv« sei das, empörte sich Rechtsanwältin Anja Sturm.

Szczepanski betonte, dass er weder Uwe Mundlos noch Uwe Böhnhardt noch die angeklagte Beate Zschäpe kennengelernt habe. Auch alle anderen vier Angeklagten kennt er nicht. Insgesamt bestritt der Zeuge nicht, was der Verfassungsschutz nach den wöchentlichen Treffs mit den V-Mann-Führern archiviert hat. Er könne sich nur nicht mehr daran erinnern. Nicht nur weil 16 Jahre ins Land gegangen sind. Das alles geschah in »einem komplett anderen Leben«.

Nur in einer sehr wesentlichen Sache wehrte sich der Zeuge gegen die bislang kolportierte Darstellungen. Es handelt sich um eine SMS, in der mit der Waffenbeschaffung für die drei untergetauchten Thüringer Neonazis beauftragte Jan Werner ihn, Szczepanski, gefragt haben soll: »Was ist mit den Bums.« Die SMS an sein Handy, das beim Empfang in Chemnitz gewesen ist, kenne er nicht. Indirekt bestätigt das sein Auftraggeber, denn er bestätigt, dass sein »Piatto« an diesem Tag beim Treff mit den Führungsleuten in Brandenburg war. Doch wer dann mit wem zu welchem Zweck SMS über zu beschaffende Waffen für Neonazis ausgetauscht hat, kann freilich das Gericht nicht aufklären.

Fazit: Die Inszenierung war – ausgenommen die Kostümierung des Zeugen - durchaus gelungen. Doch dafür verdient der Verfassungsschutz keinen Beifall.

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