Der schönste Tag

Wenzel & Band stellen im Kesselhaus der Kulturbrauerei ihr neues Album »Viva la Poesía« vor

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 4 Min.

Weil er den Stillstand, weil er die Enge in der DDR nicht mehr aushielt, und weil er es konnte, ging Hans-Eckardt Wenzel 1989 für ein paar Monate nach Nicaragua, arbeitete dort in einem Krankenhaus und am Theater. Als er zurückkam, so erzählte er es vor kurzem im Gespräch mit Hans-Dieter Schütt (nd vom 27.10.), betrat er »ein totes Land«, »grau und trüb«. Die Wahrnehmung jener Lethargie aber war geschärft durch »das quirlige Leben«, das er in Lateinamerika gekostet hatte. Wenzel gehörte dann im Frühherbst 1989 zu den Initiatoren der Resolution, in der Rockmusiker und Liedermacher Sorge um den Zustand ihres Landes ausdrückten und die »unerträgliche Ignoranz der Staats- und Parteiführung« dafür verantwortlich machten. Die Unterzeichner verpflichteten sich, den Text vor jedem ihrer Auftritte in der Öffentlichkeit zu verlesen, weil sie von einer Veröffentlichung in DDR-Medien nicht ausgehen konnten und den Weg in den Westen nicht gehen wollten.

25 Jahre später war Wenzel, gemeinsam mit seiner Band, wieder in Lateinamerika. Das gerade erschienene Album »Viva la Poesía« ist voller Spuren dieser Reise nach Kuba und Nikaragua. Teile davon wurden, beflügelt vom gemeinsamen Musizieren mit dortigen Freunden und berauscht vom Rum, in einem Studio in Havanna aufgenommen. Wieder eine Flucht vor der - heute sich ganz anders in die Köpfe und Herzen betonierenden - Erstarrung daheim? In jedem Fall »eine Reise in die Ferne auf der Suche nach den Reservaten der Poesie«, wie es auf dem Waschzettel zur Platte heißt.

Die Botschaft, die in den Liedern so poetisch musikalisch, so melancholisch deutsch und freudvoll karibisch erklingt und die der CD-Titel ja auch offen herausruft - Es lebe die Poesie! -, hat freilich ein leiseres Echo, das nicht zu überhören ist: Im heutigen Deutschland, wo wieder Hass und Ressentiment gedeihen, wo kommender Krieg in Kauf genommen wird und wo den Mächtigen nur der kalte Klang von Rechenmaschinen noch Musik in den Ohren ist, hier hat sie ihre Schutzräume kaum, die Poesie. Hier ist sie tot. »Tapfre Zahlen zählen meine Tage«, singt Wenzel zu tanzenden Latino-Rhythmen, »zähln die Freuden, zählen meine Plage,/ Zähln die Stunden, die ich um dich bange,/ Wenn ich Dich vermisse, ach so lange,/ Zähln die Worte, die ich dir geschrieben,/ Alles zählen sie, was möglich wär;/ Doch sie zählen die Toten nicht mehr.«

Die Verbindung zwischen den Jahren 1989 und 2014 stellt sich nicht nur über Wenzels Reisen her, sondern auch über seine Unfähigkeit, außerhalb der Kunst zu politischen Verhärtungen zu schweigen. Wenzel ist einer der Unterzeichner des Aufrufs »Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!«, in dem 60 Politiker, Intellektuelle und Künstler vor wenigen Tagen davor warnten, dass »bei Amerikanern, Europäern und Russen der Leitgedanke, Krieg aus ihrem Verhältnis dauerhaft zu verbannen, verloren gegangen« sei. In einem eindringlichen Appell fordern sie die Bundesregierung, die Abgeordneten des Bundestages und die Medien dazu auf, verständig, friedfertig und versöhnungsbereit zu handeln. Anders als die Resolution von 1989 ist der Appell von 2014 durchaus in die Medien gelangt, wenn auch eher beiläufig und begleitet von zurückweisenden Kommentaren. Frustriert es Wenzel, dass schon wenige Tage später kein Mensch mehr von diesem Aufruf spricht, dass die Maschinerie ihn geschluckt hat wie einen Tropfen Öl, ohne sich auch nur ein bisschen daran zu verschlucken? »Mein bleibender Bezugspunkt ist, so weltfern es klingen mag, die Kunst«, sagte er im Gespräch mit Schütt. »Das Politische wurde und wird mir durch Verhältnisse aufgezwungen.«

Dass die Kunst keinen Krieg zu verhindern weiß, man muss es wohl hinnehmen. Aber Kunst wie diese, in ihrem Schmerz an den unlösbaren Widersprüchen, in ihrer Lust am schieren Leben und Zusammenleben, ist selber Frieden. Wo sie noch klingt, fließt kein Blut: »Das war der schönste Tag, der mir geschah,/ Als ich am Strand weit in den Himmel sah,/ Als ich den Fisch geschmeckt, den Rum geleert./ Als ob das Paradies nicht in die Welt gehört./ Als ich die Nachrichten vom Krieg nicht hörte,/ Als ich zum Mittelpunkt der Erde sah,/ Das war der schönste Tag, der mir geschah.«

Wenzel & Band: Viva la Poesía (Matrosenblau). Record Release Konzert am 12.12., 20 Uhr, im Kesselhaus der Kulturbrauerei, Prenzlauer Berg

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