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Russland in der Krise

Zentralbank hebt Leitzins auf 17 Prozent an / Rubel im freien Fall / Ölpreise sinken weiter

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Die russische Wirtschaft schlittert in eine tiefe Krise. Jetzt rächt sich die einseitige Konzentration auf den Ölexport.

»Erzwungen, aber richtig«, nannte Ex-Finanzminister Alexei Kudrin die spektakuläre Entscheidung der russischen Zentralbank von Montagnacht, den Leitzins von 10,5 auf 17 Prozent anzuheben. Diesem Schritt, twitterte Kudrin, müssten jedoch »Regierungsbeschlüsse zur Erhöhung des Vertrauens von Investoren in die russische Wirtschaft folgen«.

Womöglich muss er sie höchstselbst treffen. Gerüchte besagen, dass die Tage der Regierung von Dmitri Medwedew gezählt seien, als möglicher Nachfolger wird der neoliberale Putin-Freund Kudrin gehandelt. Andere Propheten meinen, für ein Bauernopfer sei es noch zu früh: Rubelkurs und Ölpreis hätten ihre Talfahrt noch nicht beendet.

In der Tat. Am Dienstag fiel der Kurs weiter dramatisch: Am frühen Nachmittag mussten für einen Euro schon 100 Rubel hingeblättert werden, für einen Dollar 80. Seit Jahresbeginn büßte die russische Währung damit fast 60 Prozent ihres Wertes ein. Experten schließen einen Kurs von 100 Rubel pro Dollar nicht mehr aus.

Panisch räumen viele Russen ihre Rubelkonten ab, tauschen das Ersparte in harte Währung um und horten diese unter der Matratze wie in den 1990ern. Denn auch das Vertrauen in die Banken sinkt rapide, obwohl sie auf Geheiß der Finanzaufsichtsbehörde den Einlagensicherungsfonds kräftig aufstocken mussten.

Was derzeit passiere, erregte sich German Gref, Chef der staatsnahen Sberbank, habe mit Marktwirtschaft nichts zu tun und sei irrational. Kritische Analysten machen den staatlichen Ölförderer Rosneft verantwortlich. Durch westliche Sanktionen in eine akute Liquiditätskrise geraten, hatte der Konzern die Regierung um Darlehen in Höhe von mehreren Milliarden Dollar ersucht. Ausgegeben wurde der Kredit indes in Rubel. Die, so die Vermutung, Rosneft sofort in harte Währung konvertiert und dadurch den Kursrutsch ausgelöst habe.

Licht am Ende des Tunnels, warnte Analyst Oleg Kusmin im Wirtschaftsblatt »rbk daily«, sei nicht einmal mittelfristig erkennbar. Dafür seien, anders als Putin und Zentralbankchefin Elvira Nabiullina behaupten, nicht die Spekulanten verantwortlich, die gegen Russland und den Rubel wetteten, sondern jahrelange wirtschaftliche Fehlentwicklungen.

Ähnlich sieht das Sergei Alexaschenko, der in den 1990ern die Notenbank durch schwere See steuerte und jetzt für eine kritische Moskauer Denkfabrik arbeitet. Auch würden finanzielle Sanktionen des Westens stärker wirken als zunächst angenommen, was einerseits den Kapitalabfluss anheize und andererseits die Emission von Staatsanleihen erschwere. Schon Ende 2015 könnte sich daher das Loch in der Außenhandelsbilanz auf 300 Milliarden Dollar vergrößern. Für den Ausgleich müsste Russland - vorausgesetzt, der Ölpreis liegt nicht dauerhaft unter 65 Dollar pro Fass - seine Importe um das Fünffache drosseln. Auch die bei Maschinen und Anlagen, wodurch die Wirtschaft noch tiefer in die Rezession schlittern würde.

Beim Krisenmanagement, fürchtet Alexaschenko, habe die Regierung wenig Spielraum. Um den Ölpreisverfall zu stoppen, müsste Russland den Export um mindestens 30 Prozent verringern. Das wiederum wäre wegen sinkender Haushaltseinnahmen mit flächendeckenden sozialen Grausamkeiten verbunden. Auch ein Teilverzicht auf marktwirtschaftliche Mechanismen - etwa ein staatliches Preis- und Wechselkursdiktat - bringe, wie das Beispiel anderer Krisenländer zeigt, nur kurze Entlastung. Hilfreich wäre indes der Verzicht auf den Staatskapitalismus. Doch das sei für die Führung unannehmbar: Wer das Wirtschaftsmonopol aufgibt, verliert auch das politische.

Kreml und Regierung, fürchtet Alexaschenko, würden sich daher für das schlimmstmögliche Szenario entscheiden: aussitzen und nach Feinden suchen, denen man die Schuld überhelfen kann.

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