Störfeuer aus Moskau

Russische Juristen untersuchen Atombombenabwürfe der USA aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Auf die Idee kam der Duma-Präsident Sergei Naryschkin reichlich spät: Russische Juristen sollen die Atombomben-Abwürfe der USA aus dem Jahr 1945 unter völkerrechtlichen Aspekten untersuchen.

Für den gesunden Menschenverstand ist es keine Frage: Die Atombomben-Abwürfe der USA auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 waren ein Verbrechen gegen die Menschheit. Juristisch ist der Fall umstritten. Russische Rechtsexperten sollen nun die Atombomben-Abwürfe unter völkerrechtlichen Aspekten untersuchen. Es soll dabei vor allem darum gehen, ob der Tatbestand von Verbrechen gegen die Menschheit erfüllt ist. Dann nämlich könnte die Tragödie, bei der Hunderttausende sofort oder an den Langzeitschäden starben, vor einem internationalen Tribunal verhandelt werden. Denn bei Verbrechen gegen die Menschheit gibt es keine Verjährungsfrist.

Es war immerhin Duma-Präsident Sergei Naryschkin, der Ende Dezember mit entsprechenden Vorschlägen an die Öffentlichkeit ging. Allerdings nicht im Parlament, sondern bei einer Tagung des Präsidiums der russischen Historischen Gesellschaft, deren Mitglied er ist. Dort ging es um den Nürnberger Kriegsverbrecherprozess, auf dem sich Größen des NS-Regimes wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten mussten. Der Verhandlungsbeginn jährt sich 2015 zum 70. Mal. Ebenso die Tragödie in Japan. Naryschkin erwähnte sie daher in einem Satz und sah bei Hiroshima und Nagasaki den Tatbestand von Verbrechen gegen die Menschheit allein schon dadurch erfüllt, dass die Bombenschläge militärisch sinnlos waren. Das Kaiserreich der aufgehenden Sonne sei damals bereits dem Ende nahe gewesen. Die Sowjetunion habe die Kwantung-Armee vernichtend geschlagen, behauptet Naryschkin, der es als Historiker eigentlich besser wissen müsste.

Denn Moskau hatte Japan erst am 8. August 1945 den Krieg erklärt. Zwar erklärte sich der Tenno schon tags darauf zu Verhandlungen über die Kapitulation bereit, die Sieger und Besiegte nur eine Woche später unterzeichneten. Doch dazu hatte ihn vor allem der Bombenabwurf auf Nagasaki am 9. August und nicht der zeitgleiche Einmarsch der Roten Armee in das von Japan besetzte China veranlasst.

Zwar gehört Außenpolitik zu den Kernkompetenzen von Kremlchef Wladimir Putin, inoffiziell hat er auch die historische Deutungshoheit. Seit Beginn der Ukraine-Krise indes sehen auch die Granden der Kremlpartei »Einiges Russland« häufig Handlungsbedarf für die eigene Person. So sorgte Naryschkin erst kürzlich mit der Forderung für Schlagzeilen, Europa müsse die USA aus der NATO auszuschließen: Damit würde sich die Sicherheitslage auf dem alten Kontinent bessern.

Fast zeitgleich verlangte der Duma-Abgeordneter Franz Klinzewitsch eine Deklaration für ungültig zu erklären, mit der das Parlament während der Perestroika den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan im Dezember 1979 als völkerrechtswidrig verurteilt hatte.

Und Senatspräsidentin Valentina Matwijenko will einen Beschluss des Politbüros für gesetzwidrig erklären lassen, mit dem die bis dato zu Russland gehörende Krim 1954 der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik zugeschlagen wurde. Begründung: Ein Volksentscheid, wie ihn die die sowjetische Verfassung bei Gebietsaustausch zwingend vorsah, habe damals nicht stattgefunden. Vor allem mit den Ergebnissen eines Referendums von März 2014 begründet Moskau die Wiedervereinigung mit der Schwarzmeerhalbinsel. Völkerrechtlich wasserdicht ist diese Argumentation sicher nicht.

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