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»Europas 11. September«

Wie internationale Medien den Anschlag auf die französische Satirezeitschrift »Charlie Hebdo« sehen

  • Lesedauer: 4 Min.
»Ein Anschlag auf unsere Werte«, tolerante Muslime müssen gegen den Terror protestieren, Europa hat sein 9/11 erlebt - die internationalen Medien sind sich einig: Der Anschlag auf »Charlie Hebdo« galt ganz Europa.

Die konservative polnische Zeitung »Rzeczpospolita«: Ein Anschlag auf unsere Werte

»Der Pariser Anschlag von Mittwoch war besonders. Er richtete sich gegen die Freiheit des Wortes. Gegen die Vierte Gewalt, ein unerlässliches Element der Demokratie. Und gegen Journalistenkollegen, die sich nicht nur mit Worten, sondern mit Zeichnungen äußerten. Die Toten wurden zu Symbolen. Vielleicht würde ihnen dieser Ausdruck missfallen, aber sie wurden zu Märtyrern der Prinzipien, die uns, die Zivilisation des Westens, von den extremistischen Islamisten unterscheiden, die unsere Zivilisation hassen.«

Die bulgarische Zeitung »24 Tschassa«: Massenmord in Paris ist Europas 11. September

»Das ist ein weiterer Anschlag von Islamisten in diesen Wochen, allerdings der blutigste. Das ist der europäische 11. September. Frankreich ist mit sechs Millionen das Land mit der größten Zahl von Muslimen in Europa. In Deutschland sind es vier Millionen. Beide muslimische Gemeinschaften haben allerdings wenig gemeinsam. In Deutschland leben vor allem Türken sunnitischer Glaubensrichtung, die weltlich gesinnt sind. In Frankreich sind aber Araber die Mehrzahl der Muslime - dabei sind sie Schiiten, die als die Armen im Islam gelten. (...) Das einzige gemeinsame zwischen den muslimischen Gemeinschaften in Deutschland und in Frankreich ist der sich radikalisierende Hass.«

Die liberale slowakische Tageszeitung »Sme« (Slowakei): Tolerante Muslime müssen gegen Terror protestieren

»Kluge Debatten darüber, dass es sich um eine falsche Auslegung handle, wenn sich Terroristen auf den Koran berufen, helfen uns nicht, wenn gerade der militante und gewalttätige Islam vor den Augen Europas seine Anziehungskraft und Anhängerzahl erhöht. Solange die liberale Mehrheit der Muslime mehr oder weniger schweigt und nicht gegen die Islamisten in den eigenen Reihen einen entschlossenen Kampf um Herz und Verstand aufnimmt, wird es weiter Terroropfer geben.«

Die linksliberale italienische Tageszeitung »La Stampa«: Heute sind wir alle Frankreich

»Es ist der 11. September von Paris. Er ist gekommen, während Frankreich eine nur auf den ersten Blick literarische Debatte führte: Ja oder Nein zum letzten Roman von Michel Houellebecq, in dem die künftige «Unterwerfung» des Landes unter die Muslime beschrieben wird. In Wirklichkeit hat sich auch dank dieses Buches der Nervenkrieg, der die französische Seele beschäftigt, gezeigt: Immigration, Unsicherheit, Arbeitslosigkeit, Verlust der Identität. (...) Während Frankreich dieses Buch diskutierte, haben die Soldaten Allahs nicht bis 2022 gewartet, bis dem Buch zufolge in Paris der erste muslimische Präsident gewählt wird. Die Geschichte ist schneller, die Schüsse der Kalaschnikows hallen im ganzen Westen nach als wären sie die Flugzeuge des 11. Septembers. Heute sind wir alle Frankreich.«

Die linksliberale spanische Zeitung »El País«: Ignoranz, Obskurantismus und Fanatismus bekämpfen

»Die Mörder von Paris haben in das Herz unserer individuellen und kollektiven Freiheit geschossen. Dieses Verbrechen stärkt die Gewissheit, dass es nötig ist, gegen die Ignoranz, den Obskurantismus und den religiösen Fanatismus zu kämpfen - in diesem Fall den des radikalen Islamismus, der wahrscheinlich die Verantwortung trägt für dieses jüngste Verbrechen. Vor den zerschossenen Körpern des Leiters und der wichtigsten Zeichner der Zeitschrift Charlie Hebdo sowie der Polizisten, die alle kaltblütig ermordet wurden, ist daher mit mehr Entschlossenheit denn je das Bekenntnis zu erneuern, weiter für die Demokratie zu arbeiten.«

Die schweizerische liberalkonservative »Neue Zürcher Zeitung« schreibt:

»In den Kriegsgebieten des Nahen Ostens schiessen die Terroristen bewusst auf Journalisten, um die Öffentlichkeit blind zu machen. Es soll kein halbwegs freier Blick mehr möglich sein auf das, was dort vor sich geht. Nur tote Journalisten sind gut für die Wahrheit der Terroristen. Insofern scheint es konsequent, wenn diese ihren Kampf in den Westen ausweiten und auch hier Journalisten oder Satiriker totschiessen. Der Angriff auf 'Charlie Hebdo' ist darum ein Angriff auf unsere Zivilisation. Wir müssen ihn mit Konsequenz, Mut und Ausdauer abwehren.«

Die belgische Tageszeitung »La Libre« kommentiert:

»Dieser Angriff ist in seiner Wirkung und seiner Gewalt genauso schwerwiegend wie jener, der am 11. September 2001 New York getroffen hat. Morgen, in acht Tagen, in einem Monat, werden andere Terroristen zuschlagen. Im Namen Gottes, eines Propheten, dessen Botschaft sie verdrehen. Denn der islamistische Weg scheint den Vorzug zu bekommen. Was tun? Wir sind in Trauer. Wir, die wir in einer Gesellschaft der Freiheit, der Toleranz, der Gleichheit, der Gerechtigkeit leben wollen. Der erste Irrtum wäre es, der Gesamtheit der Muslime die Praktiken einer Handvoll Fanatiker zuzuschreiben, die vor nichts Respekt hat.«

Die österreichische Zeitung »Die Presse« aus Wien erklärt:

»Umso wichtiger ist nun, dass verantwortungsvolle Politiker, darunter auch Frankreichs konservativer Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, deutlich sagen, dass Terroristen, die im Namen eines pervertierten Islam Verbrechen verüben, nicht mit der Mehrheit anständiger muslimischer Bürger in einen Topf geworfen werden dürfen. Eines aber ist auch klar: Europa darf nicht vor radikalen Spinnern, die Grundwerte wie die Meinungsfreiheit mit Kalaschnikows attackieren, in die Knie gehen. Das sind wir den mutigen Kollegen von 'Charlie Hebdo' schuldig. Möge ihnen keiner posthum auch nur hinter vorgehaltener Hand vorwerfen, sie hätten ihr Schicksal herausgefordert. Denn nur solange wir über alles lachen dürfen, sind wir frei.« Agenturen/nd

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