Willkommen auf Bulgarisch

Die Initiative »Refugee Project« wurde von Präsident Plewneliew zu einer der besten im Jahr 2014 ausgezeichnet

  • Christina Palitzsch
  • Lesedauer: 8 Min.
Ein Team um vier junge Frauen organisiert Sport- und Kunstkurse an mehreren Tagen in der Woche und gibt den Kindern in den Flüchtlingslagern Sofias ein wenig Normalität zurück.

Am Eingangstor in einem Pförtnerhäuschen sitzt eine Frau mit ausgemergeltem, faltigem Gesicht. Sie betrachtet argwöhnisch die Dokumente der Menschen, die das Gelände von Ovcha Kupel betreten oder verlassen. Die Prozedur dauert eine Weile, Beamte werden hinzugerufen, unterhalten sich auf Bulgarisch, der Umgangston wirkt streng. Beim Hineingehen zischt einer der Aufseher den Besuchern zu, man solle aufpassen, denn »sie« seien wie Tiere. Das ist nicht selten der Ton, in dem Mitarbeiter von staatlichen Flüchtlingslagern über Geflüchtete sprechen.

Diana Nedeva, Maria Shestakova und Zoe Holliday betreten das Gelände, gehen auf den riesigen, gelben Plattenbau zu. Überall hängt Kleidung zum Trocknen an den Gitterstäben der Fenster, meist ist es Kinderkleidung. Nach dem Betreten passieren die jungen Frauen Metalldetektoren, kommen an vergitterten Fluren vorbei, wo Neonröhren leuchten. Die Frauen gehören zum »Refugee Project«, einer bulgarischen Initiative für Geflüchtete, die 2010 unter der Dachorganisation der Freiwilligendienste CVS Bulgaria gegründet wurde. Gleich werden sie einen Kunstkurs für die Kinder des Camps geben.

Yusuf wartet bereits unten im Flur und ruft den Frauen freudestrahlend »Dobr den!« entgegen. Mit seinen Eltern und den drei Geschwistern ist der achtjährige Junge aus Irak nach Europa geflüchtet. Er lebt in einem der 150 schmalen, knapp zehn Quadratmeter großen Räume. Zur Zeit sind 650 Menschen in Ovcha Kupel untergebracht, damit ist es momentan nur zu drei Vierteln belegt. Offenkundig ein Beleg für die Zurückdrängung durch neue Abschottungssysteme an der türkisch-bulgarischen Grenze.

In Ovcha Kupel gibt es ein Spielzimmer, das Kommandant Bogomil Galabov stolz zeigt. Der 15 Quadratmeter große Raum sei für die rund 150 Kinder im Gebäude eingerichtet. Spielsachen sind ordentlich in Kisten gestapelt. Die quietschbunte Rutsche und die neuen Plastikstühle wirken wie eine Kulisse. Die Kinder im Camp können Bulgarischkurse besuchen, eine Handvoll geht sogar in eine nahe gelegene Schule. Doch die meisten verlassen das Flüchtlingscamp selten. Yusuf war nur mit dem »Refugee Project« ein paar Mal zu Ausflügen draußen. Die meiste Zeit verbringt er mit seinen Eltern im Lager, die froh sind, in Sicherheit zu sein, aber sich auch manchmal wieder zurück wünschen nach Irak. Von dort mussten sie fliehen, da sie von radikalen Gruppen bedroht wurden. Schließlich sind sie über die Türkei nach Bulgarien gekommen, waren erst im Übergangslager Harmanli an der Grenze und wurden dann nach Ovcha Kupel in Sofia gebracht. Das Land an der Peripherie Europas bewältigt die Versorgung der 10 000 Asylsuchenden im Jahr 2014 trotz EU-Hilfen mehr schlecht als recht, von der Integration der 3000 jüngsten Geflüchteten in Schulen ganz zu schweigen.

Maria Shestakova, eine der Freiwilligen des Projekts, steigt die Treppe hinauf und wird in kürzester Zeit von einer Kindertraube umschlossen. Sie hat blonde Haare, trägt ein modisches Outfit, enge Jeans und eine große Sonnenbrille im Haar. Kürzlich reduzierte sie ihre Arbeitszeit bei einer großen IT-Firma, um mehr Zeit für das Projekt zu haben. Der Arbeitgeber stehe hinter ihrem ehrenamtlichen Engagement, das, wie sie sagt, zu einem zweiten Job geworden sei. Sie unterrichtet, plant, sammelt Kleidung, manchmal geht die Organisation bis spät in die Nacht. »Und nächste Woche wird die Website online gehen«, freut sie sich. An der hatte sie bis vor Kurzem gearbeitet.

Mit Diana Nedeva, einer Mitarbeiterin der Caritas, Zoe Holliday und Rian Hülscher, beide vom bulgarischen Freiwilligendienst CVS, verschwindet sie nun mit 20 Kindern im spärlich beleuchteten Flur. Eine ältere, stille Frau schließt ihnen den Raum auf. Dort packen sie den braunen Karton mit bunten Formen aus, verteilen die Seifenstückchen und stellen die Ölfläschchen auf die Tische. Die, die erst jetzt dazukommen, muss Maria schweren Herzens wegschicken: »Der Raum ist einfach nicht groß genug für alle aus dem Heim.« Die Kinder sitzen auf ihren Stühlen und strahlen beim Anblick der kleinen gedrehten Seifenstückchen, die sie gleich in bunte Formen geben und mit einer duftenden Lauge aus Ölen aufgießen werden. »So gut roch es noch nie in diesem Raum«, sagt Maria Shestakova lachend.

Vor über vier Jahren hatten junge Leute der Freiwilligenorganisation CVS die Idee zu der Initiative, nachdem sie das Flüchtlingscamp Ovcha Kupel am Rand Sofias besucht hatten. Damals gab es nur die Bulgarischkurse der Caritas. Also nahmen sie Kontakt mit dem Kommandant Galabov auf, der verwies sie an den Leiter der Flüchtlingsagentur SAR, Nikolai Tschirpanliew. Als dieser sich nach einigen Verhandlungen einverstanden zeigte, begannen die Freiwilligen zunächst damit, die Lehrerinnen zu unterstützen. Bald darauf entstand die Idee, eigene Kurse mit dem neugegründeten »Refugee Project« anzubieten, mit den Kindern zu gestalten, zu spielen und zu musizieren.

Im darauf folgenden Jahr 2011 entschloss sich die Caritas, das Projekt personell und logistisch zu unterstützen. Daneben gibt es eine Reihe von Verbänden, die im losen Verbund und projektabhängig mitarbeiten, wie die Straßenkinderorganisation Concordia, der bulgarische Frauenflüchtlingsrat und das Rote Kreuz Bulgarien. In den letzten drei Monaten bekam das »Refugee Project« auch eine Förderung vom UNHCR, die aber im Dezember 2014 auslief.

Finanziell getragen wird das Projekt hauptsächlich durch Spenden. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen planen Wohltätigkeitsbasare, machen Öffentlichkeitsarbeit und Kleidersammlungen. In der vergangenen Nacht erst haben Diana Nedeva, Tonia Patrikiadou und Maria Shestakova eine Tour durch halb Sofia gefahren und spätabends drei Kleinbusse voll mit Kleidung in einem Warenlager ausgeladen. Als die örtlichen Nazitrupps im Stadtteil Nadeshda nicht lange auf sich warten ließen, erzählte einer der Freiwilligen ihnen, es handle sich um eine Kleidersammlung für bulgarische Obdachlose. Im ärmsten Land Europas, wo staatliche Stellen bei der sozialen Absicherung seiner Bürger versagen, komme schnell Missgunst auf, berichtet der »Refugee Project«-Mitarbeiter. Dennoch gebe es Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung, im Internet sei die Unterstützung auch groß, bestätigt Maria Shestakova.

Seit vier Jahren machen sie nun diese ehrenamtliche Arbeit, die ein Vakuum füllt, das der bulgarische Staat nicht zu schließen vermag. Die Ehrenamtlichen müssen dabei sehr oft einen Balanceakt bewältigen zwischen Kindern, verunsicherten Eltern und der schwierigen bürokratischen Situation im Flüchtlingslager. Der Kommandant von Ovcha Kupel, Bogomil Galabov, war zunächst nicht sonderlich angetan von der Idee zu den Kursen. Meist, wenn Leute von außen kommen, wissen die Heimmitarbeiter, gibt es bald Beschwerden und UNHCR, Human Rights Watch, Amnesty sind nicht weit.

So wie 2013, als sich die Flüchtlingszahl im Vergleich zu den Vorjahren verzehnfachte, weit über 10 000 Menschen in Bulgarien Schutz suchten. Die Flüchtlingscamps waren in miserablen Zuständen und über ihre Kapazitäten belegt. Die meisten Geflüchteten waren damals und sind noch heute Menschen, die dem syrischen Krieg entkommen sind. Das Lager Ovcha Kupel war zeitweise mit mehr als 2000 Menschen heillos überbelegt - für 860 Menschen ist es eingerichtet. Doch auch zu diesem Zeitpunkt, berichtet Diana Nedeva, war das »Refugee Project« nicht am Rand seiner Möglichkeiten: Die Kurse gingen mit gewohntem Elan weiter. Damals seien sie besonders wichtig gewesen, so Nedeva. Nur manchmal gab es Schwierigkeiten, aber nicht mit den Kindern oder Eltern, sondern eher mit der Administration.

Zuletzt sagte der Leiter der Flüchtlingsagentur Nikolai Tschirpanliew im kanadischen Fernsehen, dass die Flüchtlinge dumm seien und nicht lernen wollten, sie seien schlimmer als die Roma. Nun zog die Regierung personelle Konsequenzen aus der bisher völlig verfehlten Integrationspolitik der Flüchtlingsagentur SAR. Zum Jahreswechsel wurde Tschirpanliew entlassen. Mit solch weit verbreiteten rassistischen Einstellungen mussten die Mitarbeiter des Projekts umzugehen lernen.

Der Kommandant von Ovcha Kupel kommt nun nach seinen anfänglichen Vorbehalten oft gegen Ende des Workshops vorbei, nicht selten bekommt er ein kleines Geschenk. Dieses Mal überreicht Yusuf ihm ein selbst gestaltetes Stück Seife. Er nimmt es entgegen und betont, seine Frau werde sich sehr darüber freuen. Die Kinder verlassen den Raum, tragen stolz ihre Arbeiten durch die tristen Flure zu ihren Familien und die Kursleiterinnen verabschieden sich mit einem Lächeln von den Beamten des Heimes.

Manchmal, so Maria Shestakova beim Verlassen des gelben Wohnblocks, drücke die allgemeine Stimmung, die Resignation und Perspektivlosigkeit im Camp schon auf das Gemüt. Viele Familien wissen nicht, wie es weitergeht, selbst wenn ihnen ein humanitärer Flüchtlingsstatus zugesprochen wird. Dann müssen sie das Camp verlassen, aber es gibt für Geflüchtete nur Wohnungen zu überteuerten Preisen. Und ohne Wohnung gibt es keine Arbeit in Bulgarien. Viele wollen nur weiterziehen. In der Zwischenzeit sind die Kurse des »Refugee Projects« ein Lichtblick, zumindest für die Kinder.

Für ihre Arbeit erhielten sie Anfang Dezember eine Auszeichnung vom bulgarischen Präsidenten Rossen Plewneliew. Das »Refugee Project« wurde von einem Komitee als eine der drei »Initiativen des Jahres 2014« ausgewählt. Sie erhielten eine Urkunde von Plewneliew. Diana Nedeva, Maria Shestakova, Zoe Holliday und Rian Hülscher nahmen diese stellvertretend für die über 40 Freiwilligen an. Und der Elan scheint auch nach über vier Jahren ungebrochen. Sie planen bereits Kurse an neuen Orten: Seit Mitte November gibt es auch Englisch-, Musik- und Kunstkurse im Flüchtlingslager Voenna Rampa und im Februar sollen auch im Camp Wraschdebna die Kurse beginnen.

Nur zeitweise nagen die langsam mahlenden Mühlen der bulgarischen Bürokratie an ihnen. Diese haben kürzlich verhindert, dass der Weihnachtslauf im Stadtpark stattfinden konnte. Der Lauf war als lustige Charity-Aktion der Bürger Sofias geplant, die in Weihnachtsmannkostümen für die Kinder Geld erlaufen sollten. Die Stadt hatte nach drei Monaten noch immer keine Zusage für die Genehmigung eines nötigen Zeltes gegeben. Deswegen fiel der Lauf schließlich aus, und es wurde nur ein kleiner Verkaufsstand im Industriepark aufgebaut. Maria Shestakova, Diana Nedeva, Rian Hülscher und die vielen anderen Freiwilligen lassen sich aber von Rückschlägen nicht entmutigen und geben weiterhin Energie und viel Herzblut, um die Kinder in ihrem neuen Leben in Bulgarien zu begleiten.

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