Bratwurst, Veganer und TTIP

Auf der 5. »Wir-haben-es-satt«-Demonstration zogen verschiedenste Interessengruppen an einem Strang

  • Josephine Schulz
  • Lesedauer: 4 Min.
50 000 Menschen protestierte am Samstag in Berlin gegen Agrarindustrie und Tierleid. Auch das geplante Freihandelsabkommen wurde thematisiert.

Eine Demo mit 50 000 Menschen auf der Straße, das sieht man auch in Berlin nicht alle Tage. Es ist ein beeindruckendes Bild, das sich am Samstag in der Berliner Mitte bietet: ein Meer aus Menschen, vom Potsdamer Platz bis zum Kanzleramt. »Wir haben es satt« ist die Botschaft, mit der sie sich an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) und die Ministerpräsidenten der Bundesländer wenden.

Anlässlich der Grünen Woche hatte das Bündnis aus über 120 Organisationen zu der Demonstration gegen Massentierhaltung, Genmanipulation und neoliberalen Freihandel aufgerufen. Die Liste der Dinge, die die Demonstranten satt haben, ist lang: Tierfabriken, Gentechnik, Hunger in der Welt, Bauernhofsterben, Monokulturen und Patente auf Leben, ... Und sie wird immer länger. »Im letzten Jahr war TTIP hier auf der Demo noch ein Fremdwort«, sagt Christoph Bautz vom Kampagnennetzwerk Campact. Die Kommission habe es damals noch einfach gehabt und ungestört im Geheimen verhandeln können. »Nun steht das Freihandelsabkommen gewaltig unter Druck. Wir haben gezeigt was Bürgerprotest erreichen kann«, so Bautz.

Die Bewegung kann mit Recht von sich behaupten, einige Erfolge erzielt zu haben. Im vergangenen Jahr waren es noch 20 000 Demonstranten weniger. Inzwischen ist der Ruf nach nachhaltiger, kleinbäuerlicher Landwirtschaft in fast aller Munde. »Wir haben im letzten Jahr über 100 Agrarverbrechen verhindert«, so BUND-Chef Hubert Weiger. So habe der industrielle Schweinehalter Adrian Straathof ein Berufsverbot bekommen. Die Demonstranten wissen aber auch, dass Erfolge wie dieser kein Grund sind, die Hände in den Schoß zu legen: »Noch immer wird in Brandenburg fast wöchentlich eine neue Tierfabrik eröffnet«, sagt Sybilla Keitel von der Bürgerinitiative Kontra Industrieschwein.

Das Erfolgsrezept des »Wir-haben-es-satt«-Bündnisses ist seine Breite. Hier laufen Schweinebauern neben Tierschützern. »Manche beißen auf der Demo in eine Bratwurst, andere kochen vegan. Aber diese Vielfalt halten wir aus, diese Vielfalt macht uns aus«, meint Bautz. Die Leute wissen: unter anderen Umständen wären die Schnittmengen nicht besonders groß, stünde man womöglich auf entgegengesetzten Seiten. Für den heutigen Tag aber läuft man gemeinsam gegen Monsanto und Bayer, ohne Streit, dafür mit viel guter Laune.

Wüsste man es nicht besser, man könnte die Demo gut und gerne für den Karneval der Kulturen halten. Viele der Protestierenden tragen Hühner oder Kuh-Kostüme, laufen als Bäume verkleidet auf Stelzen; meterhohe Figuren von Schweinen und Maiskolben begleiten die Demo. Angeführt wird der Protestzug von über 80 Traktoren. Aus den entferntesten Ecken Deutschlands sind die Bauern mit ihren Gefährten angereist, um gegen den Preisdruck der Agrarkonzerne zu kämpfen, der ihre Existenz bedroht. Zahlreich vertreten sind auch Mitglieder der Grünen, darunter fast geschlossen der Vorstand der Partei. Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckart fordert ein Verbot von Antibiotika in der Tierzucht.

Vor dem Finanzministerium warten einige Griechenland-Soligruppen, die gegen das von der Europäischen Zentralbank, dem Internationalen Währungsfonds und der EU-Kommission aufgezwungene Spardiktat protestieren. Sie unterstützen die Demo, möchten die Mitlaufenden aber auch auf die größeren Zusammenhänge aufmerksam machen. Die Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel (LINKE) meint: »Das gehört doch alles zusammen. Die EU ist ein neoliberales Konstrukt, dazu gehört ein neoliberaler Binnenmarkt, genauso wie eine liberale Handelspolitik.« Der Vorstand der Grünen protestiere hier für regionale, nachhaltige Agrarpolitik. »Das ist mit der neoliberalen Politik der EU, an der die Grünen maßgeblich beteiligt sind, nicht machbar«, so Hänsel. Das Spardiktat zerstöre etwa in Griechenland die landwirtschaftlichen Strukturen. Dort hungerten die Menschen.

Bautz appelliert auch an die Sozialdemokraten: »Wenn die SPD glaubwürdig bleiben will, wenn sie aus Hartz IV gelernt hat, dann, Herr Gabriel, sagen Sie Nein zu TTIP und CETA«, sagt er an die Adresse des Bundeswirtschaftsministers. Während am Landwirtschaftsministerium mahnend ein drei Meter hohes Schwein vorbeizieht, trifft Minister Schmidt die Landwirtschaft- und Ernährungsminister aus über 70 Staaten. Mit am Tisch sitzen Vertreter der EU-Kommission und Weltbank.

»Die Politiker wollen Deutschland zu einer der größten Agrar-Exportnationen machen«, sagt BUND-Chef Weiger. Das passiere auf dem Rücken der Menschen und Tiere. »Wer zu Billigstpreisen exportiert, zerstört damit die landwirtschaftlichen Strukturen in Deutschland und auch in allen anderen Ländern«.

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