»Großer Streik« in Portugal

Gewerkschaftsbündnis zieht positives Fazit des ersten Protesttags gegen die neue Rechtsregierung

Besonders Krankenhäuser wie hier in Lissabon leiden unter der Sparpolitik der Regierung.
Besonders Krankenhäuser wie hier in Lissabon leiden unter der Sparpolitik der Regierung.

Die »Frente Comum« ist über die Beteiligung am landesweiten Streik im öffentlichen Dienst am Freitag in Portugal erfreut. Wie es in einer Erklärung der aus 29 Gewerkschaften bestehenden Kampffront heißt, haben die Beschäftigten »ein Zeichen der Stärke« gesetzt. Ihr Koordinator Sebastião Santana richtete eine Botschaft an die Mitte-rechts-Koalition unter Ministerpräsident Luís Montenegro: »Die Regierung muss ein für alle Mal verstehen, dass die Vorschläge, die sie auf den Tisch legt, von den Arbeitnehmern abgelehnt werden.« Es habe sich »zweifellos um einen der stärksten Streiks der letzten Jahre« gehandelt, fügte er an.

Es war der erste große Ausstand seit den vorgezogenen Neuwahlen im Mai. Die Beteiligung wird mit etwa 80 Prozent angegeben, sie habe aber in einigen Bereichen noch höher gelegen, wie die Präsidentin des Nationalen Ärzteverbands, Joana Bordalo e Sá, hervorhob. Bisweilen habe es, die Minimalversorgung ausgenommen, sogar eine Beteiligung von 100 Prozent gegeben. Ähnlich sah es im Bildungswesen aus: »Hunderte Schulen blieben geschlossen«, erklärte Santana zum angekündigten »Großen Streik«.

Vordergründig ging es um eine bessere Bezahlung und um bessere Arbeitsbedingungen. So wurde die Abschaffung von befristeten Arbeitsverträgen im öffentlichen Dienst gefordert. Für Ärger sorgen auch mangelnde Investitionen ins Gesundheits- und Bildungswesen, wie die Haushaltsplanung der Minderheitsregierungen für das kommende Jahr zeigt. Die Beschäftigten befürchten, dass sich Arbeitsbedingungen damit noch weiter verschlechtern. Um einen Ausgleich für die Jahre mit einer hohen Inflation zu erreichen, werden Lohnerhöhungen »nicht unter 15 Prozent« und mindestens um 150 Euro verlangt. Die Regierung bietet dagegen gemäß dem Haushaltsentwurf nur eine Gehaltserhöhung von 2,5 Prozent an.

Die Gewerkschaften sehen indes finanziellen Spielraum und verweisen auch auf stark steigende Militärausgaben. Dazu kommt, dass die Regierung für 2025 und 2026 einen Haushaltsüberschuss erwartet. Die europäische Statistikbehörde Eurostat bestätigte den für das erste Halbjahr 2025, während im EU-Durchschnitt ein Minus von knapp drei Prozent verzeichnet wurde. Doch die Regierung möchte für Senkungen der Lohnsteuer und vor allem für Unternehmenssteuern nutzen.

Derweil werde der öffentliche Sektor ausgeblutet, mahnt die Ärzteverbandspräsidentin. »Wir erleben derzeit eine Zerstörung des nationalen Gesundheitsdienstes.« Vor allem die jüngeren Ärzte hätten keine Perspektive, so Bordalo e Sá. Daher sei es bei dem Streik vor allem »um die Verteidigung unseres öffentlichen Gesundheitsdienstes« gegangen. Es sei empörend, dass vom vorgesehenen Budget im Umfang von 17 Milliarden Euro mehr als die Hälfte in den privaten Sektor für Untersuchungen, Operationen und Medikamente fließe.

Schon jetzt gibt es laut der Gewerkschafterin eine Unterversorgung. Wegen fehlender Notfallstationen sei es schon zu Entbindungen »auf der Straße oder in Krankenwagen« gekommen. Das werde sich durch die Pläne von Gesundheitsministerin Ana Paula Martins noch verschärfen, die Notfalleinrichtungen zentralisieren will. Schwangere müssten dann zum Teil mehr als 100 Kilometer für eine Entbindung zurücklegen und würden womöglich nur Notaufnahmen erreichen, »die keinen 24-Stunden-Dienst garantieren«.

Insgesamt beklagen die Kritiker auch einen fehlenden Dialog. Der sei erst im Rahmen der Streikvorbereitungen aufgenommen worden, nachdem der Haushaltsplan schon stand. Die Beschäftigten könnten aber keinen Haushalt akzeptieren, der die Arbeitsbedingungen verschlechtert und die Investitionen in die öffentlichen Dienste verringert, erklärt Koordinator Santana, der einen längeren Kampf erwartet. Er erinnert daran, dass Kämpfe Kampf der Beschäftigten schon Regierungen zu Fall gebracht und stets für »die Aufwertung der Arbeitsbedingungen« gesorgt hätten. Am 8. November geht der Kampf mit einer Großdemonstration gegen das »beschämende« Arbeitsreformpaket in der Hauptstadt Lissabon weiter.

Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.