Der Staat lenkt die Wirtschaft

Abkehr vom neoliberalen Konsens von Washington bringt Bolivien Aufschwung

  • Lesedauer: 2 Min.

Die Wirtschaftspolitik der »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) ist ein Lehrstück an linkem Pragmatismus. Ausgerechnet die Elf-Millionen-Einwohnernation, nach Jahren neoliberaler Experimente ab Mitte der 80er Jahre an den Rand von Bankrott und Bürgerkrieg manövriert, gilt heute als Hort von Aufschwung und Stabilität (5,2 Prozent Wachstum, Spitzenreiter in Südamerika). Einst wurde Bolivien von Analysten »Staatsversagen« und »Unregierbarkeit« attestiert. Nun ist dieser gescheiterte »Musterschüler des Washington Consensus« ein Hoffnungsträger. Der sogenannte Konsens von Washington, ersonnen von Internationalem Währungsfonds, Weltbank und dem Weißen Haus, empfahl allen Entwicklungsländern dieselbe Blaupause: Haushaltsdefizitreduzierung, Privatisierung öffentlichen Eigentums und Liberalisierung der Märkte.

Dem entgegengesetzt beruht das Erfolgsrezept des Landes mit den bis dato meisten Staatsstreichen der Welt im »Neuen Wirtschaftsmodell«: eine starke Prise staatlicher Interventionismus, Rückverstaatlichung einst privatisierter Firmen im Wasser- und Energiesektor, Öl- und Gas, Bergbau, Telekommunikation, Infrastruktur und Fluglinien, ergänzt mit einer kräftigen Dosis Sozialpolitik (über zwei Millionen weniger Arme), Umverteilung von Rohstofferlösen (Rückgang der sozialen Ungleichheit) und einer schrittweisen Landreform (5000-Hektar-Limit Landbesitz) mit Vergabe von Landtiteln an Kooperativen. Die Nationalisierung von Öl und Gas und hohe Weltmarktpreise haben die Staatseinnahmen verachtfacht.

Statt Fixierung auf Export und Weltmarkt stärken öffentliche Investitionen den Binnenmarkt; für Produkte wie Zucker, Speiseöl und Fleisch gelten Ausfuhrbeschränkungen. Der Anteil von Rohstoffexporten an der Wirtschaftsleistung bleibt hoch, gegen Schocks wurden Währungsreserven angelegt (50 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt). Privatwirtschaft besteht neben öffentlicher und gemeinschaftlicher Wirtschaft. Beim Anteil der Frauen im Parlament (48 Prozent) liegt Bolivien auf Platz zwei weltweit - hinter Ruanda (56 Prozent). bbe

Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.