Freier Flug für freie Bürger?

Ein EU-Projekt will Autos in die Luft bringen. Von Hans-Arthur Marsiske

  • Hans-Arthur Marsiske
  • Lesedauer: 5 Min.

Fliegende Autos - in den technikgläubigen 1950er- und 1960er-Jahren waren sie noch selbstverständlicher Bestandteil vieler Zukunftsvisionen, sind aber mit gewachsenem ökologischen Bewusstsein heute merklich ins Hintertreffen geraten. So erscheinen die durch Hochhausschluchten sich drängenden Fahrzeugschwärme in Luc Bessons Science-Fiction-Groteske »Das fünfte Element« (1997) denn auch nicht gerade als beglückende Idee zukünftiger Mobilität, sondern eher als eine Vergrößerung der Blechlawine in die dritte Dimension. Ist der Traum vom Fliegen damit ausgeträumt? Noch nicht ganz: Der Europäischen Union war es immerhin 3,4 Millionen Euro wert, die Möglichkeiten seiner Realisierung näher zu untersuchen.

Dabei ging es zunächst nicht um die Entwicklung eines flugtauglichen Autos, das von den Wissenschaftlern mit dem Kürzel PAV (Personal Aerial Vehicle) bezeichnet wird. Das Forschungsprojekt myCopter widmete sich vielmehr grundsätzlichen Fragen der technologischen und sozialen Machbarkeit eines Verkehrssystems, bei dem die Menschen mit dem eigenen Auto nicht mehr zur Arbeit fahren, sondern fliegen. Dieses Szenario des täglichen Pendelverkehrs verlangt allerdings zwingend senkrechtes Starten und Landen wie mit einem Hubschrauber, betont Projektkoordinator Heinrich Bülthoff vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik. Ein fliegendes Auto, mit dem man erst mal zum Flughafen fahren muss, wäre für eine solche Nutzung kaum geeignet.

Anders als bei einem Flugzeug mit starren Tragflächen müssen bei einem Drehflügler allerdings mehrere Drehachsen gleichzeitig kontrolliert werden. Helikopterpiloten nutzen dafür Hebel und Pedale und müssen lange trainieren, um sie sicher zu beherrschen. Für Bülthoffs Idee, stattdessen wie beim Auto Lenkrad, Gas und Bremse zu verwenden, hatten die Piloten daher zunächst bestenfalls ein mitleidiges Lächeln übrig.

Doch die Lösung, die myCopter-Mitarbeiterin Bianca Schuchardt vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) kürzlich bei der Abschlusspräsentation in Braunschweig präsentierte, nötigt auch den Flugprofis Respekt ab: Während das PAV in der Längsachse (Rollen) und Querachse (Nicken) automatisch stabilisiert wird, könne der Pilot »mit der entsprechenden Drehbewegung des Lenkrads den Hubschrauber in die gewünschte Richtung fliegen«, so Schuchardt. Mit einem Hebel wird die Flughöhe geregelt, Gas und Bremse sind wie beim Auto für die Geschwindigkeit zuständig. Verharren im Schwebeflug ist ebenso möglich wie Bewegungen zu den Seiten und rückwärts, gesteuert über einen Acht-Wege-Schalter am Lenkrad.

Forscher von der University of Liverpool konnten Flugneulingen die für die Bedienung dieser Armaturen erforderlichen Fertigkeiten in fünf Unterrichtseinheiten vermitteln. Um das Fliegen mit einem konventionellen Hubschrauber zu lernen, sei mehr als das Zehnfache an Zeit erforderlich, sagte Michael Jump vom dortigen Center for Engineering Dynamics. Zu den kniffligsten Aufgaben, die im Flugsimulator zu bewältigen waren, zählte der Anflug auf eine Brücke, bei dem in einer Kurve zugleich die Höhe gesenkt und das Tempo vermindert werden sollte. Jump zeigte in einem Video, wie zur Unterstützung des Piloten ein virtueller Korridor in sein Sichtfeld eingeblendet werden kann.

Automatisierung erleichtert nicht nur die Kontrolle des einzelnen Fluggeräts, sie ist auch für die Gewährleistung der allgemeinen Flugsicherheit erforderlich. Denn der private Flugverkehr müsste außerhalb des kontrollierten Luftraums stattfinden, so Bülthoff. Zentral ließe sich der Verkehr nicht regulieren, er müsste sich selbst organisieren. Dafür haben sich die Forscher am Schwarmverhalten orientiert, bei dem die jeweils am dichtesten beieinander fliegenden Flugzeuge miteinander kommunizieren. Nicolas Dousse von der Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (EPFL) schilderte Experimente, bei denen bis zu zehn Multikopter zunächst eine kreisförmige Formation bildeten und dann die Plätze tauschten, ohne miteinander zu kollidieren. Dafür nutzten sie Stereokameras, deren Daten an Bord verarbeitet wurden. Auch die Erstellung von Umgebungskarten und die Identifizierung möglicher Landeplätze konnte automatisiert werden.

Aber lässt sich die massenhafte Fliegerei ökologisch überhaupt rechtfertigen? Bülthoff gibt zu bedenken, dass die kürzeren Wege in der Luft, der flüssigere Verkehr und der geringere Bedarf an asphaltierten Straßen Ressourcen einsparen könnten. Doch das sind vorerst allenfalls grobe Schätzungen. Eine detaillierte Ökobilanz lässt sich ohne genauere Informationen über die verwendeten PAV nicht erstellen.

Dafür gibt es andere Bedenken. Bei Diskussionen am Karlsruhe Institute of Technology (KIT) zeigten sich die Teilnehmer vor allem wegen des möglichen Fluglärms besorgt. Manche, so KIT-Mitarbeiter Torsten Fleischer, befürchteten auch, die Aussicht auf den Himmel könnte leiden. Außerdem wurde dem Konzept »over-engineering« vorgeworfen: Mit den Technologien, die für die private Fliegerei entwickelt werden, ließen sich die Verkehrsprobleme auch am Boden lösen.

Stefan Levedag, Leiter des DLR-Instituts für Flugsystemtechnik in Braunschweig, dämpft denn auch die Erwartungen und sagt deutlich: »Das fliegende Auto werden wir auf lange Zeit nicht sehen.« Er und Bülthoff messen das Projekt aber nicht allein daran, wie weit es das PAV der Realisierung näher gebracht hat. Sie sind überzeugt: Die Vereinfachung des Fliegens werde der Fliegerei generell zugutekommen. Das geht allerdings nicht von heute auf morgen: Wer über lange Zeit die Bedienung eines konventionellen Helikopters geübt hat, wird diese Sicherheit nicht ohne Not aufgeben, selbst wenn das neue System schneller zu erlernen ist. Es braucht eine neue Generation von Piloten und Fluggeräten, um den Traum vom Fliegen massentauglich zu machen.

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