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Keine U-Bahn fährt nach Born

Zwischen Topfpflanzen, Dönerläden und Flaschenbier: Bürgerschaftswahlkampf in einem abgehängten Vorort des reichen Hamburg

  • Reinhard Schwarz, Hamburg
  • Lesedauer: 6 Min.
In der Hamburger Trabantenstadt Osdorfer Born ist die Armutsquote hoch - wie auch das Misstrauen gegen »die Politik«. Wer hier erfolgreich sein will, braucht einen langen Atem.

Ein Mann mit einer baumelnden Umhängetasche der Aufschrift »Hier ist die Linke« drückt auf eine Klingel in einem Mietshaus in der Hamburger Hochhaussiedlung Osdorfer Born. »Hallo! Hier ist Karsten Strasser von der LINKEN!«, ruft er in die Wechselsprechanlage. Es ist ein trüber Sonnabendmittag, Anfang Januar, mit ungewöhnlich milden Temperaturen. Die Plattenbauten wirken jetzt noch trister als sonst. Schließlich öffnet ein Bewohner die Tür - Gelegenheit für Strasser, seine Botschaft an den Mann zu bringen: Er wirbt für eine Wahlveranstaltung der LINKEN im Bürgerhaus des Osdorfer Borns. Das Thema: Armut.

Hamburgern ist das Neubauviertel Osdorfer Born ein Begriff. Die zwischen 1966 und 1971 errichtete Hochhaussiedlung am westlichen Stadtrand genießt einen schlechten Ruf, gegen den Bewohner und Aktivisten bislang erfolglos ankämpfen. In den 1970er Jahren gab es mal ein Rockerproblem. Seitdem wurde es aber ruhiger. 2008 traute sich sogar der damalige Bürgermeister Ole von Beust (CDU) ins Viertel. In der Geschwister-Scholl-Gesamtschule - nun eine Stadtteilschule - informierte er sich über das Nachhilfeprojekt »Bildung gegen Kriminalität«, das von ehemaligen Schülern mit ausländischem Hintergrund ins Leben gerufen wurde.

Von den etwa 15 300 Einwohnern haben nach einer offiziellen Studie von 2011 rund 8100, also etwa 43 Prozent, einen Migrationshintergrund. Zum Vergleich: Im Bezirk Altona sind es nur 27,7 Prozent. Viele stammen aus der Türkei oder als Russlanddeutsche aus der ehemaligen UdSSR. Fast jedes dritte Kind war 2011 auf Hartz IV angewiesen. »Das geringe Einkommen der Eltern« bedeutet nach dem Bericht für Kinder und Jugendliche »ein hohes Armutsrisiko«. Sie seien »aufgrund der materiellen Armut mit vielfältigen Benachteiligungen und Belastungen in verschiedenen Lebenslagen konfrontiert«.

Als prominenter Gast der Veranstaltung, für die an diesem Sonntag die Klinken geputzt werden, ist Bundestagsabgeordneter Jan van Aken angekündigt, der außenpolitische Sprecher der Fraktion. Natürlich wirbt Strasser, seit 2008 Mitglied der Bezirksversammlung Altona, auch für sich als Bürgerschaftskandidat im Wahlkreis Blankenese. Zu diesem gehören neben dem namensgebenden Nobelvorort und dem armen Viertel auf dem Born weitere Stadtteile wie etwa Nienstedten, Rissen, Sülldorf oder Iserbrook - einst holsteinische Bauerndörfer, nunmehr begehrte hanseatische Wohnadressen.

Ende 2013 öffnete am Osdorfer Born nach langer Verzögerung das lange geplante Bürgerhaus, in dem sich nun viele Gruppen treffen. Seit einigen Jahren gibt es eine Stadtteilzeitung namens »Westwind«, die schon mal scharfe Attacken gegen »die da oben« fährt. So fordern die politisch Aktiven seit Jahren eine bessere Anbindung. Schon vor 41 Jahren, 1974, plante der SPD-Senat eine U-Bahn ins Viertel. Doch das Projekt wurde wegen Geldmangels auf Eis gelegt. Nun ist eine Vorort-U-Bahn geplant - doch diese soll Steilshoop anbinden, eine Trabantenstadt im Norden Hamburgs. Geplanter Baubeginn für diese Strecke: 2022. Die Borner aber gehen wieder leer aus.

Linkenkandidat Strasser klingelt an der nächsten Haustür. Wieder sagt er an der Gegensprechanlage seinen Spruch auf. Schließlich summt der Türöffner. Der Bewohner zeigt sich freundlich-interessiert, unwirsche Abfuhren sind hier selten. Einladungen zur Wahlveranstaltung, die er nicht an der Haustür los wird, wirft Strasser in die Briefkästen. Die dreistöckigen Häuser wirken zwar äußerlich grau und in die Jahre gekommen, doch innen herrschen klein-bürgerliche Ordnung und Sauberkeit. Manche Fußmatten sind mit einem einladenden »Welcome« beschriftet. An Türen hängen kleine, schmucke Kränze, Topfpflanzen im Treppenhaus sorgen für eine freundliche Atmosphäre. Verwahrlosung sieht anders aus.

Man müsse aufpassen, »dass man sich nicht festquatscht«, weiß Strasser aus Erfahrung. Es komme schon mal vor, dass er zu Kaffee und Kuchen eingeladen werde, so der Wahlkämpfer. Das sei zwar nett gemeint, »kostet aber auch Zeit«. Zwölf Häuser mit je zwölf Wohnungen hat er nun abgeklappert. Etwa 40 persönliche Kontakte habe er gehabt. Doch er dämpft die Erwartungen. »Wir haben hier eine ziemlich niedrige Wahlbeteiligung, teilweise von 20 bis 30 Prozent.« Bei den jüngsten Europawahlen habe es in einigen Wahllokalen eine Beteiligung um die zehn Prozent gegeben, schildert der LINKEN-Politiker, der 2004 nach rund 20 Jahren die Grünen verlassen hatte - aus Protest gegen die Agenda-2010-Politik. 2005 trat er dann in die PDS ein. Die Chancen ständen nicht schlecht, orakelt Strasser: »In den fünf Stimmbezirken des Osdorfer Borns erzielte DIE LINKE bei den Bezirkswahlen im Mai 2014 Ergebnisse zwischen 15 und 20 Prozent der Stimmen.«

Nach rund einer Stunde hat Strasser seine Werbezettel verteilt, jetzt steht noch eine Besprechung mit Parteimitgliedern an. Man trifft sich gegen halb eins zu dritt in einem Dönerladen. Am Nebentisch sitzt eine Gruppe Männer, viele mit grauen Vollbärten, sie unterhalten sich laut und trinken Bier aus Flaschen. In einer Ecke steht noch ein bunter Weihnachtsbaum, an der Wand hängt ein großes Poster der Fußballer vom SV Osdorfer Born. Mit am Tisch sitzen Pascal (19) und Marika (51). Auch sie haben an diesem Nachmittag Veranstaltungseinladungen verteilt.

Industriekauffrau Marika war früher Mitglied der SPD, seit einem halben Jahr ist sie aber bei der LINKEN. »Hier kann ich mich mehr einbringen«, schildert sie ihre Motive für den Wechsel. Forderungen wie die nach einem Mindestlohn von zehn Euro findet sie richtig. Pascal, der ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert, ist auch erst seit einigen Monaten Parteimitglied. Er will etwas verändern: »Ich habe mir gesagt: Du musst selbst aktiv werden.« Ihn hätten Reden von Gregor Gysi inspiriert.

Plötzlich findet das ruhige Gespräch ein abruptes Ende. Vom Tisch der Bier trinkenden Männer brüllt einer in Richtung des LINKEN-Tisches: »Ich kann die Scheiße nicht mehr hören!« Auf den Rat, doch wegzuhören, brüllt der Mann weiter: »Seit einer halben Stunde muss ich mir das anhören!« Schließlich mischt sich der türkische Wirt des Dönerladens ein und beruhigt den Schreier, der daraufhin das Lokal verlässt. Die Runde der LINKEN-Wahlkämpfer beschließt aber dennoch, das Gespräch zu beenden.

Fünf Tage später, 19.30 Uhr, im Bürgerhaus des Osdorfer Borns. An der langen Tafel im Versammlungsraum haben 16 Besucher Platz genommen. Keine verräucherte Kneipenatmosphäre, der Raum wirkt hell und freundlich, es gibt Mineralwasser. Die Blicke wandern umher, manche kennen sich. Einige Teilnehmer der Runde sind Mitglieder oder Kandidaten der LINKEN. Van Aken sitzt neben Strasser am Kopf der Tafel. Viele Ältere sind gekommen. Der Bürgerschaftskandidat und der Bundestagsabgeordnete sprechen über das Thema Armut. Strasser liefert Fakten, nennt offizielle Zahlen.

Die Besucher der Veranstaltung zeigen sich sachkundig, sprechen über Steuergerechtigkeit, Steuerflucht, Uli Hoeneß, Beitragsgerechtigkeit, Riester-Rente, Umverteilung des Reichtums. »Mit so ein paar Leuten werdet Ihr nichts erreichen«, bemerkt eine Teilnehmerin mit kritischem Blick auf die kleine Gruppe an den Tischen. Van Aken verweist auf die »Schneeballmethode«: Jeder Anwesende möge Freunde und Nachbarn ansprechen. »Das empfinden die Leute als meckern«, erwidert die Frau. »Die wollen das nicht hören.«

Strasser wirft ein: »Wir werden ganz viele Infostände machen.« Richtig überzeugend klingt das nicht. »Mir fällt auch nichts anderes ein, als auf die bewährten Mobilisierungsmittel zurückzugreifen«, räumt er schließlich ein. Gegen halb zehn beendet der Bürgerschaftskandidat die Veranstaltung. Draußen ist es finster, es sind kaum Menschen unterwegs. Einige Straßenlaternen geben ein fades Licht. An einer Kreuzung stehen Plakate der anderen Parteien.

Wenn schon keine U-Bahn, so wollte doch wenigstens SPD-Bürgermeister Olaf Scholz kommen.

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