Ein Hügel als Zankapfel

Der Bückeberg bei Hameln und eine Ausstellung spiegeln Geschichtsbewältigung auf unterschiedliche Art

  • Barbara Kaiser
  • Lesedauer: 4 Min.
»Seht Ihr«, sagt der alte Herr aus Celle zu seinen beiden etwa zehnjährigen Enkeltöchtern, »so wurden damals die Autobahnen gebaut. Mit Hacke und Schaufel. Und Arbeitslose gabs da auch nicht.« Dann setzt er sich fasziniert vor den Fernsehapparat im Ausstellungsraum, der Originalaufnahmen der NS-Propagandamaschinerie über die Entstehung des Bückeberges bei Hameln und die dort inszenierten »Reichserntedankfeste« von 1933 bis 1937 in einer Endlosschleife zeigt. Wahrscheinlich wird er gerührt nach dem Rundgang so ähnlich ins Besucherbuch schreiben, wie es vor ihm eine Dame tat: »Alte Erinnerungen wurden wach. Sehr schön.« Der Ausstellungsmacher Bernhard Gelderblom, Lehrer am Albert-Einstein-Gymnasium Hameln, freute sich darüber eher nicht. Aber auch für diese Leute hat er das Material zum Thema »Ein Volk dankt seinem (Ver)Führer« zusammengetragen, Der Streit um den Bückeberg, das 800 mal 300 Meter große Riesenareal, ist länger. Der ab 1933 durch Männer des Reichsarbeitsdienstes vorbereitete Platz für »ein machtvolles Bekenntnis zum neuen Reich« durch »das deutsche Bauerntum in seltener Geschlossenheit« (Deister- und Weserzeitung 13.7.1933) steht nahezu unverändert. Bernhard Gelderblom regte an, ihn durch Dokumentationstafeln zu erschließen. »Wir müssen begreifbar machen«, sagt er, »warum unsere Großeltern einem Hitler hinterhergelaufen sind, ja, warum sie ihn geliebt haben.« Seit sechs Jahren hält Gelderblom Vorträge zur Geschichte des Geländes, daneben entstand eine Ausstellung. Anliegen der Schau ist es, die Mechanismen von Verführung und Indoktrination zu erahnen; darzustellen, dass die »Reichserntedankfeste« nur Folie für die Auftritte des »Führers« und Einschwörung auf den kommenden Krieg waren. Man wolle, und darin liege die Schwierigkeit, »einerseits einen glaubwürdigen Eindruck von der Massenfaszination des Festes geben, andererseits aber auch Mechanismen der Suggestion durchschaubar machen. Es gilt, das empfindliche Gleichgewicht zwischen Annäherung und Distanzierung auszubalancieren«, so der Theologe. Aber der 62-Jährige stößt, seit er mit den Vorträgen reist und seinen Antrag an das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege stellte, auf hartnäckige Widerstände. Seit dem Jahr 2000 ist genanntes Schreiben unbeantwortet. Und seit das Landesamt ins Wissenschaftsministerium einging, »da greif ich nur noch in Nebel«, so Gelderblom. »Manchmal bin ich an der Schwelle zu Resignation«, sagt der Lehrer, der in der Region als Geschichtsforscher für eine Zeit gilt, über die oft gerne der Mantel des Schweigens gebreitet würde. So reagierte auch der damalige Landrat von Hameln, Karl Heißmeyer (SPD): »Am Bückeberg begann, was mit 55 Millionen Toten weltweit endete. Ich will alles, was die NS-Zeit verherrlicht, nicht mehr sehen«, sagte der ehemalige Bundeswehroffizier. Um allen Widerworten den Wind aus den Segeln zu nehmen, betonte die Samtgemeinde Emmerthal, zu der der Bückeberg gehört, ihr Interesse an neu zu erschließendem Bauland. Bernhard Gelderblom will nicht aufgeben. Wie wichtig sein Engagement ist, zeigen Eintragungen ins Besucherbuch: »Ich komme aus Hameln und bin entsetzt, was dort geschah« steht neben »Das waren Könner, wenn man heute das WM-Drama ansieht« und »Deutschland braucht schon lange wieder einen Führer.« Letzte Meinungsäußerung wird vom Nachfolgenden nicht unkommentiert stehen gelassen: »Idiot! Nazis raus.« Natürlich lesen wir auch: »Die Ausstellung sollte Pflichtveranstaltung für alle Schulen sein - und die Unbelehrbaren von heute.« Es gibt jedoch auch Äußerungen von Besuchern, die den historischen Kontext vermissen: »Eine wenig distanzierte und reflektierte Darstellung« Das stimmt so nicht ganz: Wer sehen will, sieht, auch wenn der Besucher zunächst erschlagen steht vor Anmaßung und Monumentalität nationalsozialistischen Größenwahns. Die Schilder: »Juden unerwünscht« sind groß genug. Sie hätten damals auf dem Weg zu den Festen gestanden, sagt Gelderblom. Oder man liest den Auszug von Goebbels Tagebuch nach dem Bückeberg-Besuch 1936 »Tolle Wehrmachtsdarbietungen. Vor allem die Luftwaffe Einzigartig! Großangriffe mit Tanks. Das ist hinreißend!« Dazu muss man wissen, dass auf den »Reichserntedankfesten« Häuserattrappen gebaut wurden, um sie von Flugzeugen zerstören zu lassen. Eine Geste der Hamelner Bürger 1936 allerdings war - wenn auch ungewollt - von ungeheurer Symbolkraft: Der »Führer« wurde bei der Ortsdurchfahrt von der historischen Figur des Rattenfängers begrüßt. Gleiche unter sich. Man kann Bernhard Gelderblom nur Durchhaltevermögen wünschen. Seine Zuhörer fragen ihn immer wieder: »Warum wird uns das vorenthalten?«, während offizielle Gemeindevertreter mit dieser Geschichte nicht umgehen können. Im Jahr 1999 erhielt der Lehrer sogar, von Lokalpolitikern veranlasst, eine Vorladung zur Polizei: »Weil er Nazisymbole zeigt!« Das Pikanteste zum Schluss: Das Bauen auf dem Bückeberg begann schon vor Jahren. Eines der ersten Häuser bewohnt Ex-Landrat Heißmeyer. Er hat einen faszinierenden Blick von seiner Terrasse.
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