Werbung

Was zu uns gehört

Andreas Koristka über die Muslime, den Freistaat Sachsen und das ganze Deutschland

  • Lesedauer: 3 Min.

Stanislaw Tillich hat vor Kurzem neuen Schwung in die Debatte gebracht, ob der Islam zu Deutschland gehört. Es ist dies seit Jahren ein Streit, der auf allerhöchstem Niveau geführt wird. Denn die einen sagen so und die anderen so. Der CDU-Ministerpräsident hat ihm eine neue interessante Meinung beigegeben. Nämlich, dass der Islam zumindest nicht zu Sachsen gehört.

Da Muslime nur 0,1 Prozent von allen in Sachsen lebenden Personen ausmachen, ist dies ein durchaus nachvollziehbarer Standpunkt. Man braucht schon etwas mehr deutsche Butter auf den Prozenten, will man Teil des Freistaats sein. Nämlich mindestens fünfmal so viel! Mit 0,5 Prozent gehören die Sorben deshalb unbestritten zu Sachsen. Allerdings liegt ihr Anteil an der deutschen Gesamtbevölkerung bei nur 0,075 Prozent, weshalb man laut Tillich wohl nicht davon sprechen kann, dass sie auch zu Deutschland gehören. Der Sorbe Stanislaw Tillich ist also nicht ohne Grund nicht Bundeskanzler in Berlin, sondern lediglich weiser Herrscher in Dresden.

Doch was macht das Dazugehören zu Deutschland eigentlich aus? Betrifft es eine gesellschaftliche Gruppe, so ist vor allem ihre Größe maßgeblich dafür, ob wir sie als zu uns zugehörig empfinden. Leute, die sich regelmäßig die Fußnägel schneiden, machen beispielsweise 64,2 Prozent der deutschen Staatsbürger aus. Niemand käme auf die Idee, sie aus der Nation auszuschließen. Ähnlich akzeptiert sind Katholiken (29,9 Prozent), Protestanten (29 Prozent) und Aquarianer mit mittelschwerer Laktoseintoleranz (25,2 Prozent). Selbst Juden (0,2 Prozent) scheinen dazuzugehören, solange man tiefgreifende Gedanken bezüglich des Abendlandes äußert.

Doch neben quantitativen gibt es auch qualitative Kriterien, die angelegt werden können, um festzustellen, ob etwas zu unserem schönen Deutschland gehört. Irgendwie traditionell verwurzelt muss es sein, eine essenzielle Zutat im Rezept der Ursuppe unserer nationalen Identität - kurzum, Erika Steinbach muss ein feuchtes Höschen bekommen, wenn sie daran denkt. Diese zu uns gehörenden Dinge sind mannigfaltig und reichen von mundgeblasener Glaskunst bis Karneval, von Gartenzwergen bis Kaninchenausstellungen, von Goethe bis Ostpreußen. Sie stecken ganz ganz tief in unserer Seele. Manchmal reiben wir uns an ihnen wie an einer frisch gekürten Weinkönigin, aber eigentlich lieben wir sie.

Muslimen fällt es oft schwer, diese Liebe nachzuvollziehen, egal wie oft sie von Neonazis (die gehören leider auch zu uns) zusammengeschlagen werden. Sie bleiben uns oft fremd. Natürlich wissen wir, dass sich die überwiegende Zahl von ihnen friedlich verhält, weshalb man manchmal geneigt ist zu sagen: »Ach, was soll's. Gehört ihr eben auch zu uns. Hier ist ein Grundgesetz und der Schlüssel für die Hausreinigung.« Aber dann kommen eben auch wieder die beängstigenden Nachrichten über die Extremisten.

Natürlich gibt es auch radikale Anhänger des zu Deutschland gehörenden Christentums. Es ist aber etwas Anderes, ob Abu Bakr al-Bagdadi, der Kalif des Islamischen Staats, seine Anhänger bestialisch morden lässt, oder ob der Papst dazu aufruft, Kindern anständig den Arsch zu versohlen und dabei nicht einmal ihre Würde verletzt sehen will.

Ein weiter Weg wird für unsere muslimischen Mitbürger also noch zu gehen sein, bis sie ganz unbestritten dazugehören können. Wir legen ihnen keine Steine in denselben, aber wir werden sie kritisch begleiten, die Finger in ihre Wunden legen und ganz tief darin popeln. Und wenn wir damit fertig sind, dann werden wir sie beglückwünschen und der Bundespräsident wird in das Zugehörigkeitshorn blasen, was eigens für diesen Zweck angeschafft werden wird. Sein Hall wird die ganze Republik erzittern lassen und die Muslime können sich endlich freuen, einen Kullerkeks kaufen und die Ecken abbeißen.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal