Kampf um den besten Eigentümer

Wie IG BAU und IG Metall Paragraf 613a (BGB) reformieren

  • Olaf Harning
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Verkauf großer Konzerne oder Konzernteile unter Berücksichtigung von Best-Owner-Kriterien sichert Arbeitsplätze und letztlich auch Tarifverträge.

Seit 1972 ist diese Regel wie in Stein gemeißelt: Wird ein Betrieb oder Betriebsteil verkauft, sind die dort gültigen Tarifverträge und Vereinbarungen im Optimalfall für ein Jahr geschützt - danach kann der Neueigentümer die Dinge ändern. Doch jetzt hat dieses Fundament Risse bekommen: In mehreren Verträgen haben die IG Metall und die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) ein ebenso schlichtes, wie wirksames Instrument eingesetzt, um Betriebsübergängen den Schrecken zu nehmen. Es ist ein unscheinbarer Satz, den Gregor Asshoff, Bundesvorstandssekretär der IG BAU, da in die Schlussbestimmungen einer Vereinbarung mit dem Hochtief-Konzern geschrieben hat. »Die Verkäuferin sichert zu«, ist da unter Paragraf 8 der »Best-Owner-Kriterien« zu lesen, »dass der Erwerber den Inhalt dieser Vereinbarung mit Aufnahme der Vertragsverhandlungen zur Kenntnis nimmt und spätestens zum Vertragsschluss diesem Tarifvertrag beitritt«.

Was da zunächst wie eine seelenlose Formel klingt, birgt arbeitsrechtlich erhebliche Sprengkraft. Mit einer launigen Idee hat Asshoff mal eben den Paragrafen 613a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ausgedehnt - und zwar erheblich. Denn besagter Paragraf regelt den mehr oder weniger umfassenden Bestandsschutz, den von einem Betriebsübergang betroffene Beschäftigte genießen. Dabei gelten die tarifvertraglichen Bestimmungen aber nur noch als arbeitsvertragliche Regeln fort und sind nach Ablauf der einjährigen Veränderungssperre frei verhandelbar. Auch der Abbau von Arbeitsplätzen ist dann wieder uneingeschränkt möglich. Ziel von Betriebsräten ist es daher, ihre Belegschaft auch über den Paragrafen 613a hinaus abzusichern - doch das hat enge juristische Grenzen. So sind etwa die Nachteile eines Betriebsübergangs nach Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in Sozialplänen nicht ausgleichsfähig. Soll heißen: Betriebsräte können bei einem Verkauf zwar Sozialpläne aushandeln - die wirklich wichtigen Dinge darin aber ebenso wenig regeln wie etwa weitergehende Pflichten des Neueigentümers.

Schon im Jahr 2011, in den Verhandlungen über den Verkauf eines Baudienstleisters, hat Asshoff sich deshalb gefragt: »Wie kriegst Du jetzt die Brücke zu dem noch unbekannten Käufer hin?« Kaum zehn Minuten später hatte er die Lösung grob skizziert. Und weil das Ganze gleich im ersten Anlauf funktionierte, kommt der Einfall nun regelmäßig zum Einsatz - zuletzt beim Umbau des einstigen Bauriesen Hochtief. Der war 2011 von der spanischen ACS-Gruppe geschluckt worden, anschließend begann die Restrukturierung des Konzerns. Unter anderem auf dem Ladentisch: Mehrere Geschäftsbereiche der Hochtief Solutions AG. »Ich habe ja schon viele Betriebsübergänge mitgemacht«, erinnert sich Betriebsrat Olaf Bannas an den Verkaufsprozess. »Aber so sauber - das habe ich noch nie erlebt.«

Mit Mann und Maus wurde die fast 6000 Beschäftigte zählende Hochtief Facility Management GmbH Mitte 2013 veräußert. Einer der Interessenten hatte die Best-Owner-Kriterien der IG BAU abgelehnt, kam deshalb nicht zum Zug. Andere akzeptierten, darunter die Société parisienne pour l´industrie électrique (Spie), die schließlich auch den Zuschlag erhielt. Mit seiner Unterschrift hat sich der französische Gebäudetechnik- und Industriedienstleister bei Vertragsschluss unter anderem dazu verpflichtet, ein strategisches Konzept samt »Ausbau des Geschäftsfeldes« und »hoher Mitarbeiterkonstanz« zu verfolgen. Neben dem weitgehenden Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen wurde zugesichert, alle geltenden Vereinbarungen im Unternehmen weiterzuführen - darunter alle Firmentarifverträge und ein komfortables System der betrieblichen Altersvorsorge.

Mit ähnlichen Zielen hat auch die IG Metall in den letzten Jahren Best-Owner-Vereinbarungen entwickelt, die mit nachhaltiger Wirkung in Verkaufsprozesse eingreifen - so etwa bei Volkswagen und sehr ausgeprägt beim Industrieriesen ThyssenKrupp. Bereits 1999 hat der Konzern eine Art Ehrenerklärung abgegeben, nach der er beim Verkauf von Unternehmensteilen auch die Belange der Beschäftigten achtet. Im Jahr 2009 folgte eine erste Verabredung mit der IG Metall, die 2011 schließlich im Vertrag über Zukunft und Beschäftigung mündete. Darin verpflichtet sich ThyssenKrupp, »bei Veräußerungen oder Partnerschaften nachzuweisen, dass potenzielle Erwerber Best Owner beziehungsweise Fair Owner sind«. Außerdem muss der Konzern sicherstellen, dass der Käufer vorab verbindliche Aussagen zur Zukunft der Standorte und Arbeitsplätze macht. »Wir haben den Best-Owner-Gedanken seit 1999 konsequent weiterentwickelt«, freut sich IGM-Konzernbetreuer Markus Grolms, der auch im Aufsichtsrat der ThyssenKrupp AG sitzt. »Seit 2009 ist kein Unternehmen mehr ohne eine solche Vereinbarung verkauft worden.« Dabei ging es mal um 6500 Jobs, wie 2012 bei der Veräußerung des Edelstahlbereichs an die finnische Outokumpu Oyj, mal aber auch nur um 30 Beschäftigte.

Dass solche Vereinbarungen überhaupt zustande kommen, sieht Grolms in einer Art Win-win-Situation begründet: Die Beschäftigten erhalten höchstmögliche Sicherheit, das Unternehmen kann auf einen mehr oder weniger reibungslosen Verkaufsprozess hoffen.

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