Die 50-Prozent-Lawine

Preissteigerung bei Kinderbetreuung droht Wahlkampfthema in Sachsen-Anhalt zu werden

  • Hendrik Lasch, Magdeburg
  • Lesedauer: 3 Min.
In Sachsen-Anhalt müssen Eltern vielerorts deutlich mehr für die Kinderbetreuung zahlen. Die Landespolitik sucht nach Lösungen - und wittert ein Wahlkampfthema.

Die Kinderbetreuung könnte in Sachsen-Anhalt ein bestimmendes Thema im Wahlkampf 2016 werden. Darauf deuten Äußerungen aus der CDU in der aktuellen Diskussion über die Höhe der Elternbeiträge hin. In einer von der LINKEN beantragten Landtagsdebatte kündigte der CDU-Abgeordnete Markus Kurze an, wenn die Union nach der Wahl im nächsten Frühjahr erneut an der Regierung beteiligt sein sollte, werde man dafür sorgen, dass arbeitende Eltern bei den Gebühren für die Kitas entlastet werden - »auch wenn wir an anderer Stelle wieder beschneiden müssen«, wie er hinzufügte. LINKE-Fraktionschef Wulf Gallert liest das als eine Ankündigung der CDU, den Ganztagsanspruch für alle Eltern erneut aufweichen zu wollen. Die schwarz-gelbe Koalition, die im Land bis 2006 im Amt war, hatte den Anspruch für Kinder von Arbeitslosen beschnitten; der Schritt wurde von der amtierenden Koalition aus CDU und SPD auf Drängen letzterer zurückgenommen.

Über die Folgen des von beiden beschlossenen Gesetzes über die Kinderbetreuung wird im Land aber derzeit heftig gestritten. Konkret geht es um die Höhe der Kosten, die von den Eltern zu tragen sind. In Sachsen-Anhalt zahlen Land und Landkreise bestimmte Anteile. Die davon nicht gedeckten Kosten teilen sich Kommunen und Eltern. Ein Passus im Gesetz regelt, dass der Elternanteil dabei nicht höher als 50 Prozent liegen darf.

Zuletzt zeigte sich aber in etlichen Kommunen, dass auch 50 Prozent eine Stange Geld sein können. Derzeit werden die Kosten zwischen den Trägern der Kitas und den Kreisen exakt ermittelt. In der Folge hoben einige Gemeinden die Elternbeiträge stark an - im Extremfall um 100 Prozent. Es gibt Demonstrationen, Bürgerversammlungen und böse Schlagzeilen.

Das Sozialministerium sieht keine generelle Tendenz. Der SPD-Minister Norbert Bischoff sprach gestern von »zwei Ausreißern«; in anderen Kommunen sänken die Beiträge. Dagegen vermutet die LINKE, bei den jetzt erörterten Fällen handle es sich nur um den »Anfang einer großen Kostenlawine«, wie die Abgeordnete Monika Hohmann formuliert. Sie erinnert daran, dass die 50-Prozent-Klausel ursprünglich als »Schutzklausel« für die Eltern gedacht war. Offenbar, sagt sie, »geht das aber voll daneben«.

Grund dafür ist, dass die Kommunen alle Spielräume ausreizen und die für sie geltende Mindestgrenze von 50 Prozent als Obergrenze begreifen: Sie zahlen nicht mehr Geld als nötig. Zu derlei Handeln würde sie niemand verpflichten, sagt CDU-Innenminister Holger Stahlknecht: Es gebe weder einen Erlass noch eine verbindliche Anweisung, die das fordere, stellte er dieser Tage klar. Das sei freilich auch gar nicht nötig, erwidert Gallert. Die meisten Kommunen und alle Landkreise befänden sich in der Konsolidierung. In dieser Lage seien sie verpflichtet, »alle Möglichkeiten der Einnahmeerhöhung« auszuschöpfen. Ein Anteil an den Kitakosten von mehr als 50 Prozent müsste ihnen also explizit erlaubt werden, sagt Gallert.

Eltern und Opposition fordern genau das. Karsten Buksch, Sprecher der Landeselternvertretung, will im Gesetz Obergrenzen für den Elternanteil von 35 Prozent in Krippen und 40 Prozent in der Kita festgelegt wissen. Die Grüne Cornelia Lüddemann hält eine Senkung auf 40 oder 30 Prozent binnen zwei Monaten für umsetzbar. Hohmann hält eine Begrenzung auf 40 Prozent für »eine Möglichkeit«. Die LINKE lässt zudem gerade prüfen, an welchen Kosten sich die Eltern überhaupt beteiligen müssten - etwa mit Blick auf Investitionen und auf Abschreibungen. Die Koalition aber will davon nichts wissen. Bischoff rief die Kommunen am Freitag lediglich auf, Elternbeiträge sowohl mit Blick auf Betreuungszeit als auch die Einkommen stärker zu staffeln: »Das würde schon unheimlich entlasten.«

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