Familienhilfe von unten

Stadtteilmütter vermitteln in Dortmund zwischen Migranten und der Bürokratie. Der Status der engagierten Frauen ist höchst prekär.

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 3 Min.

14 Frauen und ein Mann sitzen an diesem Montagmorgen im März im Büro der Stadtteilmütter in einem Haus des Diakonischen Werks Dortmund und berichten einander von ihren jüngsten Erfolgen und Ärgernissen. Von der armenischen Familie, die »plötzlich weg« sei. Von dem arabischen Jungen, der von der Schule zu fliegen drohe trotz all der Bemühungen. Vom ewigen Papierkrieg. Von den immer neuen Probleme mit dem Arbeitsamt - und mit unseriösen Arbeitgebern. Doch trotz aller Herausforderungen kommt der Humor nicht zu kurz. Die Stadtteilmütter lachen gerne und viel.

Was ihre Aufgabe sei? »Die von uns betreuten Menschen sollen einen leichten Start haben und Teil unserer Gesellschaft werden«, sagt Houria Ouaakli, die vor 40 Jahren aus Marokko nach Dortmund kam. »Die Selbstständigkeit schwindet von heute auf morgen«, beschreibt die eloquente Stadtteilmutter mit dem weißen Kopftuch die Situation nach der Einwanderung. Auch hochbegabte Schüler würden demotiviert, wenn sie in einer Auffangklasse mit Zehn- bis 16-Jährigen säßen, deren einzige Gemeinsamkeit sei, dass sie die deutsche Sprache nicht beherrschen.

Die Stadtteilmütter leisten eine hoch engagierte Arbeit in so genannten Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf, vulgo: sozialen Brennpunkten wie der Dortmunder Nordstadt oder Dorstfeld. Sie begleiten Flüchtlinge und Armutsmigranten, zunehmend aber auch alternde Ex-»Gastarbeiter« zu Behörden und Ärzten. Sie helfen ihnen, ihre Rechte durchzusetzen. Sie übersetzen. Und helfen perfekt Deutsch sprechenden Migranten, die von Angst vor Ämtern geplagt werden.

Sie lassen Elternabende gelingen - auch zur Freude der Lehrer. Sie bieten Beratung an in Kitas, in Schulen und Jugendzentren. Sie erklären, wie man effizient heizt (auch und gerade in schlecht isolierten Wohnungen) und so hohe Heizkosten und Verschuldung vermeidet. Sie helfen bei der Job- und bei der Wohnungssuche. Und sind Ansprechpartnerinnen bei häuslicher Gewalt. »Wir erreichen Menschen, die ansonsten niemand erreicht«, sagt Projektkoordinatorin Alicja Tadus. »Denn wir sprechen die Sprache und kennen die Mentalität der von uns Betreuten«, so die Sozialpädagogin.

Hochflexibel müssen die Stadtteilmütter sein. Dabei sind sie streng genommen nur angelernte Arbeiterinnen im Sozialbereich mit höchst prekärem Status. Mitte Mai muss die eine Hälfte der Dortmunder Stadtteilmütter Platz machen für Nachrückerinnen. Im Oktober ereilt die andere Hälfte das selbe Schicksal. »Wir haben geschuftet, wir haben Wirkung erzielt, wir haben Erfolg. Das Projekt geht weiter, aber ohne uns«, sagt Houria Ouaakli. Auch in den Nachbarstädten Essen und Bochum gingen 2011 Stadtteilmütter-Modell-Projekte an den Start. Doch als die EU-Mittel ausliefen, wurden sie eingestellt. In Dortmund übernahm das Sozialamt die Finanzierung, zumindest bis 2016. »Ich hoffe, dass unser Projekt auch darüber hinaus weiterlaufen kann«, sagt Alicja Tadus.

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