Der gespaltene Bezirk

Ältere Lichtenberger sind zufriedener, die armen Jüngeren aber werden zahlreicher

Egal, ob die »Coolnessgrenze« angeblich diesseits von Lichtenberg verläuft oder SeniorInnen hier ganz glücklich sind: Der Bezirk ist gefragt. Einen nüchternen Einblick gibt eine Anfrage der Linkspartei.

Ältere Menschen fühlen sich in Lichtenberg immer wohler. Das jedenfalls geht aus einer Studie der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin hervor, die ihren Campus in Karlshorst hat. Besonders die Hochbetagten (80 Jahre und älter) geben der Lebensqualität in ihrem Bezirk die beste Note, immerhin, eine 2,5. Die Bewertung gleicht der von Schulnoten. Die mittlere Altersklasse (55 bis 65 Jahre) vergibt als Gesamtnote eine 2,6. In beiden Altersgruppen jedenfalls liegt der Schnitt etwas höher als noch im Jahr 2009, als die Studie das erste mal durchgeführt wurde. »Die Ergebnisse zeigen, dass wir mit unserer Politik auf dem richtigen Weg sind«, sagt Sozialstadträtin Kerstin Beurich (SPD) am Donnerstag bei der Vorstellung der Studie im Lichtenberger Rathaus.

Insgesamt hat die Hochschule 5000 Fragebögen verschickt, die unter anderem die Zufriedenheit mit der Wohnsituation, den materiellen Lebensverhältnissen, der gesundheitlichen Versorgung, die Nähe zu Einkaufsmöglichkeiten und den kulturellen Angeboten erfassen sollte. Am zufriedensten sind die Lichtenberger in Alt-Hohenschönhausen Nord, Alt-Lichtenberg und an der Frankfurter Allee Süd. Nicht besonders glücklich sind die Senioren in den fast dörflich geprägten Regionen wie Malchow und Falkenberg und in der Rummelsburger Bucht (Note 2,8). Von dort kamen jedoch auch die wenigsten Rückmeldungen im Allgemeinen. Der Zuzug von jungen Familien hinterlässt scheinbar seine Spuren. Beim Thema sozialer Zusammenhalt kam der Bezirk insgesamt nur auf eine 3,0. Welche Konsequenzen Beurich aus den Ergebnissen ziehen will, soll bis zu den nächsten Beratungen zum neuen Handlungskonzept für SeniorInnen geklärt sein.

Ein etwas anderes Lichtenberg-Bild zeichnet die Antwort des Senats auf eine Anfrage der LINKEN-Abgeordneten Evrim Sommer. Darin geht es um die sich verändernde Sozialstruktur im Bezirk. Von den negativen Entwicklungen sind vor allem jüngere Lichtenberger betroffen. Der ehemalige Bezirksbürgermeister Andreas Geisel (SPD) sah in Lichtenberg stets einen neuen, besseren, Prenzlauer Berg. Familienfreundlich, prosperierend mit sinkender Arbeitslosigkeit. Die Zahlen, die die Sozialverwaltung nun liefert, entzaubern diese Erzählung vom neuen Mittelstandsbezirk. Aus ihnen geht hervor, dass innerhalb von zwei Jahren (2012/13) die Kosten für Leistungen der Sozialhilfe um knapp sechs Millionen Euro gestiegen sind und sich auch die Zahl derer erhöht hat, die als armutsgefährdet gelten - insbesondere bei der jüngeren Bevölkerung unter 18 Jahren. Fast ein Drittel (30,7 Prozent) der Minderjährigen im Bezirk hat demnach weniger als 60 Prozent des Medians, also des Mittleren Einkommens, zur Verfügung und gilt damit als armutsgefährdet (2012 waren es noch 21,5 Prozent). Bei den 18- bis 25-Jährigen sind es sogar 32,6 Prozent. In Berlin ist laut Statistischem Bundesamt eine Einkommensgrenze unterhalb von 814 Euro für das Jahr 2013 die Schwelle zur Armut. »Die soziale Spaltung in Lichtenberg nimmt dramatisch zu. Besonders beunruhigend ist der Armutsanstieg bei den Kindern und jungen Erwachsenen«, sagt Evrim Sommer. »21,2 Prozent der Lichtenberger sind armutsgefährdet. Die Zahlen machen deutlich, dass die Sozialpolitik der SPD-Bürgermeister im Bezirk gescheitert ist.«

Auffällig ist, dass die Quote der armutsgefährdeten Jugendlichen unter 18 Jahren um mehr als neun Prozent innerhalb eines Jahres gestiegen ist. Einer der Gründe mag darin liegen, dass immer mehr Familien aus den angrenzenden Bezirken Friedrichshain und Pankow auf die andere Seite des S-Bahnringes ziehen, weil sie sich in ihrem alten Kiez die Mieten nicht mehr leisten können und in den Großsiedlungsgebieten Hohenschönhausen und der südlichen Frankfurter Allee günstigere Wohnungen finden - obwohl auch hier die Mieten steigen. Gleichzeitig geht aus der Anfrage hervor, dass die gut ausgebildeten Hochschulabsolventen dem Bezirk langsam den Rücken kehren. Seit 2012 ist der Anteil der über 25-Jährigen, die einen (Fach)-Hochschulabschluss haben, um drei Prozent gesunken.

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