Der verkürzte Blick auf Tröglitz

Der Brandanschlag in Sachsen-Anhalt ist nur einer von vielen / 2014 hat sich die Zahl von Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte verdreifacht

  • Guido Speckmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Tröglitz ist kein Einzelfall, sagt der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU). Und er warnt davor, die Tat als Einzelfall abzutun: Es handle sich vielmehr um ein »bundesweites Problem«, sagte er der »Welt«. Haseloff hat recht und unrecht zugleich.

Recht hat er, weil es nicht nur in der kleinen Ortschaft Tröglitz im Burgenlandkreis Drohungen gegen den Bürgermeister und Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland gibt. Sie sind keine Seltenheit mehr. Im Gegenteil: Im vergangenen Jahr hat sich die Zahl der Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte nach Informationen der Bundesregierung verdreifacht. Laut einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion, über die der »Tagesspiegel« Mitte Februar berichtete, hat die Polizei 2014 insgesamt 150 Attacken auf Unterkünfte für Geflohene registriert. Dazu gehören Brand- oder Sprengstoffanschläge, tätliche Angriffe auf Bewohner sowie Schmierereien mit rassistischen Parolen. Im Jahr 2013 gab es 58 solcher Übergriffe und im Jahr zuvor 24.

Interessant ist zudem die Häufung der Übergriffe im vierten Quartal 2014. Zwischen Oktober und Dezember gab es 67 Vorkommnisse. Das legt einen Zusammenhang mit der ausländerfeindlichen Pegida-Bewegung in Sachsen nahe. So sieht es zum Beispiel der Düsseldorfer Sozialforscher Alexander Häusler. Seit Beginn der Demonstrationen, die inzwischen sehr stark zurückgegangen sind, habe »die Stimmung gegen Flüchtlinge noch massiv zugenommen« und äußere sich auch in gewalttätigen Übergriffen, sagte Häusler am Dienstag im WDR-Radio.

Zwar ist Sachsen in diesem Zeitraum nicht Spitzenreiter der Übergriffe, doch es liegt mit 15 Attacken auf Asylbewerberheime nach Berlin auf Rang zwei. Eine Zunahme rechtsextremer Gewalt ist dem Experten Häusler zufolge indes nicht nur im Osten Deutschlands zu verzeichnen. Auch bundesweit hätten Hetze und Gewalt gegen Flüchtlinge zugenommen, sagte er. Porta Westfalica, Rabenau, Escheburg und das mittelfränkische Vorra heißen beispielsweise weitere Tatorte.

Sachsen-Anhalt wird in der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Linksfraktion neun Mal aufgeführt – es handelt sich um rechte Demonstrationen, Körperverletzung, Sachbeschädigung, die Verwendung von verfassungsfeindlichen Symbolen und in einem Falle um schwere Brandstiftung.

Doch Sachsen-Anhalt ist führend, was die Verbreitung von ausländerfeindlichen und chauvinistischen Einstellungen in der Bevölkerung anbelangt – und das erwähnt Ministerpräsident Haseloff selbstredend nicht. 42,2 Prozent der Sachsen-Anhalter stimmen ausländerfeindlichen Statements zu, so die letzte der sogenannten Mitte-Studien. Die Leipziger Sozialforscher um Oliver Decker, Autoren der Studien, erheben seit 2002 alle zwei Jahre ausländerfeindliche, chauvinistische, antisemitische etc. Meinungen in der deutschen Bevölkerung. Der Bundesdurchschnitt liege der jüngsten Studie aus dem Jahr 2014 zufolge bei 20 Prozent. Nach Sachsen-Anhalt liegt Bayern auf Rang zwei der unrühmlichen Liste. Führend ist das sachsen-anhaltische Bundesland auch in Sachen Chauvinismus. 25,8 Prozent der Bevölkerung stimmen solchen Aussagen zu: »Was unser Land heute braucht, ist ein hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland.«

Ganz anders sieht das der Sachsen-Anhalt-Monitor 2014. Die seit 2007 erhobenen Einstellungen zu Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus seien weiterhin leicht zurückgegangen – und fallen teilweise sogar geringer aus als in Westdeutschland. Eine Vergleichbarkeit ist aufgrund unterschiedlicher Methoden schwierig. Doch es gab schon beim Monitor 2012 Kritik, dass es sich um eine Gefälligkeitsstudie für die Landesregierung gehandelt habe. »Die Tatsache, dass die Landesmarketingagentur einen Teil des Geldes für die Studie gegeben hat, zeigt schon, dass man sich einen Imagegewinn für das Land erhoffte«, sagte der Grünen-Politiker Sebastian Striegel damals. Er warf den Autoren sozialwissenschaftlich schlechte Arbeit vor. Die Fragen seien so gestellt und formuliert gewesen, dass Ausländerfeindlichkeit nicht wirklich abgebildet werde.

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