Mehr Fahrräder, weniger Frauen

Der rot-grüne Koalitionsvertrag in Hamburg steht. Die Lampedusa-Gruppe darf nicht bleiben

  • Folke Havekost, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Punktsieg für die SPD: Der gestern vorgestellte Koalitionsvertrag ändert die bisherige sozialdemokratische Alleinregierungspolitik allenfalls in wenigen Nuancen. Für die Flüchtlingsgruppe Lampedusa heißt das nichts Gutes.

»Hinter uns liegt ein hartes Stück Arbeit, das sich gelohnt hat«, sagte die Grünen-Chefin Katharina Fegebank nach siebenwöchigen Verhandlungen mit der SPD. Beide Parteien präsentierten nun in den Hamburger Deichtorhallen ihren Koalitionsvertrag, auf dessen Grundlage bis 2020 »auch in Zukunft gut regiert« werden soll, wie SPD-Bürgermeister Olaf Scholz ausführte. Er konnte sich als Gewinner fühlen, denn der Vertrag setzt im Grunde die bisherige SPD-Alleinregierungspolitik fort.

Obwohl das 115-Seiten-Dokument »Zusammen schaffen wir das moderne Hamburg« laut Fegebank »kein Vertrag wolkiger Prüfaufträge, sondern ein ganz konkretes Arbeitsprogramm« darstellt, fällt vor allem auf, was fehlt: grüne Verhandlungserfolge etwa im Bereich der Innen- und Flüchtlingspolitik. Der 300-köpfigen Flüchtlingsgruppe »Lampedusa in Hamburg« wurde einzig eine Fristverlängerung in Aussicht gestellt, damit einzelne Flüchtlinge weiterhin individuelle Bleiberechtsanträge stellen können. Die von den Grünen geforderte »politische Lösung«, etwa eine Gruppenanerkennung, wird es nicht geben. »Die individuelle Prüfung ist unsere politische Lösung«, erklärte Fegebank schmallippig.

Auch bei der Einrichtung von »Gefahrengebieten«, die die Hansestadt Anfang 2014 in Aufregung versetzten, steckten die Grünen zurück. Es sei »selbstverständlich, dass das Instrument auch in Hamburg weiter eingesetzt werden kann«, sagte Scholz. Der künftige Umweltsenator Jens Kerstan kündigte an, die Grünen würden sich »für eine praxistaugliche Anwendung« der erweiterten polizeilichen Befugnisse engagieren.

Als Senator will Kerstan die »Ökologisierung des Hafens« vorantreiben, unter anderem mit einer Bonus-Malus-Regelung, die auch Containerschiffe dazu bewegen soll, sich am Kai mit Strom von Land zu versorgen, statt ihre Motoren laufen zu lassen. Genehmigungen für Fracking-Probebohrungen werde es aber nicht geben, so Kerstan. Bei umstrittenen Fragen wie der Elbvertiefung waren die Grünen bereits im Wahlkampf eingeschwenkt. »Umweltpolitik und Klimaschutz sind Bedingungen für das weitere Wachstum unserer Stadt«, assistierte Scholz.

Während die Koalitionäre im frisch renovierten Tempel für zeitgenössische Kunst ihre Politik skizzierten, rollten hinter den großen Fenstern ICE-Züge vom und zum nahen Hauptbahnhof. So pünktlich wie die Eisenbahn waren SPD und Grüne nicht: Ursprünglich war die Präsentation des Vertrags für Gründonnerstag vorgesehen, doch über Ostern wurde noch gerungen und gefeilt.

Eine »solide Haushaltspolitik« sei »erste Voraussetzung für alles«, betonte Scholz, dessen harte Verhandlungsführung die Grünen mit Blessuren zurückließ. Wegen der guten Finanzlage gibt es allerdings rund 100 Millionen Euro zusätzlichen Spielraum für die fünfjährige Legislaturperiode, was vor allem den Grünen zugute kommt: 40 Millionen Euro fließen in Wissenschaft und Forschung, für die die neue Zweite Bürgermeisterin Fegebank verantwortlich sein soll. Kerstan erhält 30 Millionen für die Umwelt. Das grüne Herzensprojekt, Hamburg zur »Fahrradstadt« zu entwickeln, soll mit 30 Millionen aus Bundesmitteln finanziert werden. Außerdem erhalten die Grünen den Posten eines »Radverkehrskoordinators«.

Vermutlich wird es eine Koordinatorin, denn die Frauenquote in der Regierung sinkt von 45 auf wohl nur noch 33 Prozent. Der künftige Senat wird neben dem Bürgermeister elf statt wie bislang zehn Mitglieder umfassen. Dritter grüner Senator wird Till Steffen im Justizbereich. Da ausgerechnet zwei grüne Männer zwei SPD-Frauen ablösen, wollen die Grünen nun auf Staatsratsebene verstärkt Frauen nominieren.

Fegebank war optimistisch, dass die Partei am Sonntag dem Vertragsentwurf zustimmt. Am Dienstag tagt die SPD, am Mittwoch könnte die Bürgerschaft Scholz erneut zum Stadtoberhaupt wählen.

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