»Endlich wieder auf dem Rasen stehen«

Folge 62 der nd-Serie »Ostkurve«: Der geflüchtete Fußballer Darko Stojadinovich steht vor seinem Debüt für Lokomotive Erfurt

  • Lesedauer: 5 Min.

nd: Sie sind mit Ihren Eltern kürzlich in eine neue Gemeinschaftsunterkunft in Erfurt gezogen. Wie ist Ihre gegenwärtige Situation?

Stojadinovich: Das neue Heim liegt etwas abgelegen, fast im Wald, oberhalb der Stadt. Die Straße ist nachts sehr dunkel, einige haben etwas Angst. Aber ich möchte nicht zu viel Negatives sagen. Uns geht es hier besser als in unserer Heimat. Ich hoffe aber, dass wir bald in eine schöne Wohnung in der Stadt umziehen können.

Zur Person

Darko Stojadinovich kam mit seinen Eltern als Flüchtling im Februar nach Thüringen. Der 24-jährige Mittelfeldspieler hat bereits Spielpraxis in der zweiten tschechischen und russischen Liga gesammelt. Sein Traum ist es, in Deutschland erfolgreich Fußball zu spielen. Derzeit lebt er aber in einer Flüchtlingsunterkunft in Erfurt und hofft auf Asyl. Warum die Familie die Heimat verlassen musste, darüber will niemand sprechen. Darko erzählt Thomas Fritz im Gespräch nur so viel: »In Erfurt spüre ich das erste Mal in meinem Leben keine Diskriminierung.«

In der Nähe befinden sich einige Plattenbausiedlungen, dort gibt es eine bekannte Naziszene. Haben Sie keine Angst?

Nein, ich fürchte mich nicht. In der alten Unterkunft in der Scharnhorststraße gab es Proteste der NPD, aber davon abgesehen haben wir keine negativen Erfahrungen gemacht. Mit so etwas beschäftigen wir uns nicht. Fast alle Menschen hier in Deutschland begegnen mir und meiner Familie sehr freundlich. Vor allem die Sozialarbeiter, die uns betreuen, machen einen tollen Job. Dafür sind wir sehr dankbar.

Sie dürfen am Wochenende erstmals für den 1. FC Lokomotive Erfurt in der Kreisoberliga auflaufen. Was bedeutet Ihnen das?

Ich habe viele Wochen auf meinen Spielerpass gewartet und freue mich sehr auf das Duell gegen Empor Erfurt. Das ist eines der besten Teams der Liga. Auch weil ich viel trainiert habe, bin ich überhaupt nicht nervös. Ich erwarte ein gutes Spiel und will meinen Teil beitragen, damit Lok in den letzten zehn Partien endlich aus dem Tabellenkeller rauskommt. Der Trainer sagte mir, dass ich auf jeden Fall eingesetzt werde.

Wie können Sie der Mannschaft helfen?

Ich bin schnell und wendig, habe ein gutes Auge für die Mitspieler und ins Tor habe ich auch schon mal getroffen (lacht). Mit meinem großen Ehrgeiz werde ich alles für die Jungs geben. Ich bin sicher, dass ich eine Verstärkung bin.

Fühlen Sie sich nach ein paar Wochen Training schon gut in die Mannschaft integriert?

Das erste Mal in meinem Leben spüre ich überhaupt keine Diskriminierung, ich wurde toll aufgenommen, alle Leute hier sind unheimlich freundlich. Es hilft mir natürlich, dass ich etwas Fußball spielen kann. Der Zusammenhalt ist sehr, sehr groß, wir sind eine internationale Truppe. Es gibt Mitspieler aus Polen, Kuba, der Türkei und Mosambik. Das erleichtert die Integration, wenn man selbst aus einem anderen Land kommt. Ich habe dem Verein schon jetzt viel zu verdanken und auch meinen Eltern. So hat sich mein Vater um viele organisatorische Dinge gekümmert.

Wie legen Sie die rund drei Kilometer von der Unterkunft bis zum Trainingsplatz im Erfurter Stadtteil Daberstedt zurück?

Am schnellsten geht es mit dem Rad, wenn zweimal in der Woche das Training ansteht. Zu Fuß benötigt man etwa eine halbe Stunde. Ich halte mich aber auch abseits des Vereins fit. Im Heim oder in dessen Umgebung mache ich jeden Tag drei bis vier Stunden Sport - Laufen oder Fitnessübungen. Das ist sehr wichtig für mich. Sport macht einen Großteil meines Tagesablaufes aus. Ich gehöre nicht zu denen, die gerne Bier trinken oder Schnaps.

Stichwort Mentalitätsunterschiede: Gehen Deutsche zum Lachen in den Keller, wie oft behauptet wird?

Ich kann das aus meinen Erfahrungen nicht bestätigen: Die Jungs bei Lok haben einen guten Sinn für Humor. Es wird immer wieder gelacht. Aber Trainer Maik Städter legt natürlich viel Wert auf Disziplin - eine gute Mischung. Er ist ein netter Typ, und wir trainieren sehr gut und diszipliniert.

Lernen Sie Deutsch?

Mit meinen Eltern gehe ich einmal in der Woche zu einem Sprachkurs. Verstehen klappt schon ordentlich, aber Sprechen noch nicht ganz so. Ich arbeite daran. Beim Training kann ich den Kommandos schon gut folgen. Fußball hat ja fast eine eigene Sprache, viele Anweisungen sind auch ohne Worte gut zu verstehen.

Fällt Ihnen ein typischer deutscher Fußballbegriff ein?

(Überlegt lange) Schade!

Sie haben in Serbien, in Russland und in Tschechien Fußball gespielt. Was bleibt davon in Erinnerung?

Zuletzt bin ich 2014 in einer kleinen Mannschaft in einer regionalen serbischen Liga aufgelaufen, die vergleichbar mit einer Landesliga in Deutschland ist. Dort habe ich in der gesamten Saison 20 Tore geschossen und 19 Tore vorbereitet. Auch zur serbischen Juniorennationalmannschaft wurde ich mit 16 eingeladen, aber weil wir eine geforderte Geldsumme nicht aufbringen konnten, bin ich dort nie aufgelaufen. Das war eine große Enttäuschung. In der zweiten russischen und tschechischen Liga hat es nicht so richtig geklappt.

Was unterscheidet sich davon am meisten in Deutschland?

Das ist schwer zu sagen. Jetzt spiele ich in der Kreisoberliga (die achthöchste Spielklasse in Thüringen, d. Red.). Hier gibt es auch mal einen Gegner mit einem kleinen Bauchansatz. Von meinen Mitspielern können einige manchmal am Wochenende wegen der Arbeit nicht auflaufen. Das ist Amateurfußball. Aber ich freue mich darauf, endlich wieder auf dem Rasen stehen zu können.

Belastet Sie der offene Ausgang des Asylverfahrens?

Ich versuche, nicht viel darüber nachzudenken. Ich blicke nach vorne, hoffe auf eine gute Zukunft in Deutschland und beschäftige mich wenig mit negativen Dingen. Am 28. April erhalten wir eine Arbeitserlaubnis. Wenn mein Vater einen Job als Schweißer findet, steigen die Chancen auf einen günstigen Ausgang des Verfahrens. Ich habe selbst einen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften mit Schwerpunkt Marketing.

Werden Sie nächste Saison auch für Lok Erfurt spielen?

Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Ich weiß nicht, was in den nächsten Monaten passieren wird. Im Moment fühle ich mich in Erfurt und bei Lok sehr wohl und will alles geben, damit ich Erfolg habe. Auf dem Rasen und außerhalb.

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