Am 1. Mai kaum Neues

Politik und Polizei loben sich gegenseitig und Demo verzeichnet Rekordbeteiligung

  • Paul Liszt
  • Lesedauer: 3 Min.
Zehntausende Menschen demonstrierten am 1. Mai gegen steigende Mieten, die herrschende Flüchtlingspolitik und die NPD. Innensenator Henkel (CDU) sprach vom »friedlichsten« 1. Mai seit 1987.

Die Szenen nach dem 1. Mai in Berlin gleichen sich in den vergangenen Jahren. In ähnlich klingenden Satzbausteinen präsentieren Politik, Polizei und Presse am Tag danach ihr Fazit, loben das erfolgreich umgesetzte Einsatzkonzept und die gute Zusammenarbeit mit den Organisatoren des »Myfestes«, das 2003 ins Leben gerufen wurde, um die Straßenzüge von »Kreuzberg36« zu befrieden. Auch in diesem Jahr fand Innensenator Frank Henkel (CDU) auf der traditionellen Bilanzkonferenz zum Maifeiertag im Roten Rathaus starke Worte. Der diesjährige 1. Mai in Kreuzberg sei der friedlichste seit 1987 gewesen. Die »Dominanz der Gewalt« sei »gebrochen«, so Henkel. Polizeipräsident Klaus Kandt zog ebenfalls ein »überwiegend positives« Fazit. Der Trend zu einem friedlichen 1. Mai sei ungebrochen, gab sich Kandt zufrieden.

Die Organisatoren der Revolutionären 1. Mai-Demo verkündeten indes mit 33 000 Teilnehmern wieder eine Rekordbeteiligung bei ihrem abendlichen Aufzug durch Kreuzberg und Neukölln. Im Mittelpunkt stand in diesem Jahr die Flüchtlingspolitik. »Das Mittelmeer wird zum Massengrab. Tausende Menschen versuchen täglich, nach Europa zu kommen. Verursacher der massenhaften Flucht sind die Europäische Union und die USA, die weltweit Kriege führen und die Länder der sogenannten Dritten Welt ausbeuten«, erklärte Bündnissprecher Michael Prütz.

Weitere zentrale Themen auf der Demonstration waren der Protest gegen steigende Mieten und Zwangsräumungen sowie die Solidarität mit Griechenland und mit den von der Terrororganisation »Islamischer Staat« bedrängten Bewohnern der kurdischen Gebiete in Syrien und in Nordirak. Erstmals dabei war in diesem Jahr ein feministischer Block.

Die Inhalte der Demonstration drohten zunächst ein wenig im Trubel des ausufernden »Myfestes« unterzugehen. Laute Musik aus einer nahe gelegenen Bar übertönte die von zwei Lkw aus gehaltenen Redebeiträge bei der Auftaktkundgebung am Spreewaldplatz. Die Straßen und umliegenden U-Bahnhöfe waren schon ab mittags von Feierwütigen verstopft und mussten teilweise gesperrt werden.

Kurz vor 19 Uhr formierte sich schließlich die Demonstration und bahnte sich im zügigen Laufschritt ihren Weg vorbei an der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule in Richtung Reichenberger Straße. Die ersten Reihen hatten sich derweil rote Sturmhauben übergezogen. Böller, Bengalische Feuer und Rauchpulver komplettierten die militante Inszenierung. Die einzigen Steine, die bis zu diesem Zeitpunkt durch die Luft flogen, waren aus Schaumstoff und stammten von der Partei »Die Partei.«

Das änderte sich auf Höhe des Polizeiabschnitts 55 in der Sonnenallee. Steine, Flaschen und Farbbeutel flogen in Richtung des Gebäudes und gegen die davor postierten Einsatzfahrzeuge. Die Polizei, die bis dahin nur in den Seitenstraßen sichtbar war, zog nun mit einem Spalier aus behelmten Beamten am Rande der Demonstration auf. Beworfen wurden im weiteren Verlauf noch zwei Bankfilialen am Rathaus Neukölln und am Hermannplatz sowie ein Bio-Supermarkt am Kottbusser Damm. Kurzzeitig drangen Aktivisten in ein leer stehendes Kaufhaus an der Karl-Marx-Straße ein. Zu der im Vorfeld angekündigten Hausbesetzung kam es schlussendlich aber nicht. Nach dem Ende der Demonstration am Lausitzer Platz kam es noch zu kleineren Scharmützeln mit der Polizei.

Insgesamt 6554 Polizisten waren am Freitag in der Hauptstadt im Einsatz, davon mehr als 1700 aus anderen Bundesländern und Einheiten der Bundespolizei. 39 Einsatzkräfte wurden im Dienst leicht verletzt. Sie nahmen nach offiziellen Angaben insgesamt 45 Personen fest. Bei der Anti-Repressionsgruppe »Ermittlungsausschuss« wurden den Tag über 56 Personen als festgenommen gemeldet, davon sieben bei den Anti-NPD-Protesten und 49 im Anschluss an die abendliche Demo.

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