Uralt und gänzlich neu

Das Trio Cimbalarchi Berlin debütierte im BKA-Theater

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 3 Min.

Neugründungen, zweckdienliche, kuriose, sinnlose - wann und wo gibt es die nicht? Das Trio Cimbalarchi Berlin mit Enikö Ginzery (Cimbalom), Emmanuelle Bernard (Violine) und Jesper Ulfenstedt (Kontrabass) ist eine unerhörte Neugründung. Darum passte ihr Debütkonzert exzellent in die Reihe »Unerhörte Musik« der Berliner Kabarett Anstalt (BKA) am Mehringdamm: eine Bühne im fünften Stock mit plüschigem Mobiliar, ideal dafür, Novitäten zu präsentieren, die der arrivierte Betrieb außen vor lässt.

Cimbalom, Violine, Kontrabass - für hiesige Verhältnisse neu, diese Besetzung. Mit den ungeahnten Eigenheiten und Reizen des Cimbaloms birgt sie potenziell unendliche kombinatorische Möglichkeiten. Dabei ist diese Menage à trois tatsächlich in der Musiktradition so fundamental wie uralt. Volksmusikkapellen und »Zigeunermusikanten« gebrauchten dies Instrumentarium schon im 15. Jahrhundert. Zweihundert Jahre später kam die Besetzung sogar in West- und Südeuropa auf - in Gestalt barocker Triosonaten und sonstiger Formen, angereichert mit volksmusikalischen Idiomen. In den jüngsten Dezennien haben sich zahllose Arten von Trios rekrutiert, die Gegenwartsmusik spielen. Ein jedes Instrument kann einem zweiten, einem dritten beliebig zur Seite stehen.

Das Cimbalom (auch Zimbal) hat mehrere Manuale und Pedale sowie extrem hoch und tief klingende Saiten. Erstaunlich seine Klangschärfe und -härte wie Ausdrucksfülle. Es gesellt sich vorzugsweise Streichinstrumenten. Komponisten wie György Kurtág und István Láng wussten dem Solo-Instrument ungeahnte Nuancen zu entlocken. In Kammermusik- und Orchesterpartituren fungiert es wie die Gitarre oder das Akkordeon zumeist als Farbanreicherung. Enikö Ginzery, sie stammt aus Bratislava, hat darum schon in Sinfonieorchestern mitgespielt, ohne sich dort als Solistin hervortun zu können.

Die Berliner Szene weiß um sie. Die »Pyramidale« 2013, ein Festival für Neue Musik in Berlin, geleitet von der Komponistin Susanne Stelzenbach, die ein Herz für die großartige Ginzery hat, ermöglichte es ihr zum Beispiel, als Solistin aufzutreten, mit einem die Ohren höchst vergnüglich stimmenden Cimbalom-Recital.

Acht Stücke präsentierte das Trio Cimbalarchi Berlin im BKA, darunter mehrere Uraufführungen. Solostücke, Duos und Trios kamen zu Gehör. Sinnlich anregend das Duo »ívek a térben III (Arcs in Space)« für Kontrabass und Cimbalom des genannten István Láng. Ein viersätziges fein gesponnenes Gebilde, in dessen zweitem Teil eine Art Passacaglia stoisch abläuft; der Bass zupft die Grundlinie, während die Cimbalom-Spielerin mit Filz- und Stahlschlegeln zärtlichste Wendungen adressiert. Von den Trios ragte die Komposition »Farben ... Formen« von Erik Janson heraus, das Finalstück des Abends. Eine absolut ausgehörte, die verschiedenen Möglichkeiten eines jeden Instruments strukturell und klanglich sinnvoll zusammenbindende Arbeit.

Torsten Senses »Szelek« indessen, eine Uraufführung für die Triobesetzung, geriet viel zu lang. Da rollt Glas über die Saiten im Cimbalonkasten, deren Spielerin neben allerlei Schlegelwerk auch den Geigenbogen benutzt. Percussive Effekte knallen, eine kurze Kadenz der Violine rüttelt an der Schläfrigkeit des Stücks. Anders das sehr lebendige, auch witzige Kontrabass-Stück »Inventione evolutiva« von Antonio Gino Bibalo. Der aus Schweden stammende Jesper Ulfenstedt warf hier sein ganzes Können in die Waagschale.

Hans-Joachim HESPOS’ »psallo solo« von 2009 zupfte und schlug die geniale Enikö Ginzery auf besagter »Pyramidale«. Im BKA kam nun HESPOS’ »Santur« für Cimbalom solo von 1973. Ein hellwaches Gebilde. Die Ginzery arbeitet hier mit Fingern und Nägeln. Feinste Gleitbewegungen auf den Saiten wechseln mit wilden Clustern und seriellen Intervallverhältnissen ab. Die mutigste Arbeit des Abends.

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