Nächste Runde im Uranstreit

Oldenburger Gericht legt im Streit um Uran-Zylinder EU-Recht zugrunde

  • Holger Elias, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat der europäischen Atomwirtschaft Geschäfte mit Drittländern erleichtert. Nach einem am Dienstag in Luxemburg verkündeten Urteil begründen reine Dienstleistungen wie die Anreicherung und Lagerung von Uran kein Zugriffsrecht der Europäischen Atomgemeinschaft. Der EuGH beendete damit einen jahrzehntelangen Streit.
Das Oberlandesgericht Oldenburg (OLG) hatte 2004 das Luxemburger Gericht angerufen, um Rechtstreitigkeiten zwischen den Kernbrennstoffproduzenten und -händlern Industrias Nucleares do Brasil SA (INB), Siemens AG, UBS AG und Texas Utilities Electric Corporation (TUEC) über die Herausgabe von Zylindern mit angereichertem Uran klären zu können. Hubert Daum vom Oberlandesgericht sagte gestern gegenüber ND, dass der »vorliegende Beschluss des Gerichtshofes nun vom OLG geprüft und der Entscheidung zu Grunde gelegt« werde. Voraussichtliche Termine für die Urteilsverkündung konnte Daum nicht nennen.
Die Vorgeschichte: Die brasilianische INB sollte Kernbrennstoff für heimische Kraftwerke beschaffen. Dazu lieferte sie Roh-Uran an das britische Unternehmen Urenco. Urenco habe so im Jahr 1984 Uran für INB auftragsgemäß angereichert und aufgrund eines Vertrages bei einer Siemenstochter im hessischen Hanau zwischengelagert. Da INB dann jedoch zeitweilig keine Verwendung für das angereicherte Uran hatte, versuchte das brasilianische Unternehmen 1993 einen Teil davon los zu werden. Den Zuschlag erhielt die Schweizer Firma Nuexco Exchange AG (NEAG). Später sollte die NEAG sechs Partien Uran an INB zurückgeben und eine Vergütung zahlen. Die NEAG war dazu - wohl wegen ihres Konkurses - nicht mehr in der Lage. Offenbar wegen der Pleite war auch der Kernbrennstoff gar nicht an NEAG geliefert worden, sondern lagerte noch bei Siemens.
Deshalb erhob INB beim Landgericht Osnabrück Klage gegen Siemens und forderte die Herausgabe. Siemens lehnte ab. Die Schweizer Bank UBS wiederum klagte, weil sie 1989 von der NEAG das Pfandrecht an 14 Zylindern erworben haben will. Das Landgericht Osnabrück urteilte im März 2000, dass INB keinen Anspruch gegenüber Siemens habe. Indes wurde Siemens verurteilt, 14 Zylinder mit angereichertem Uran an UBS und 11 Zylinder an den AKW-Betreiber TUEC herauszugeben. INB legte Berufung beim OLG Oldenburg ein.
Streitpunkt sind die Eigentumsrechte laut Euratom-Vertrag aus dem Jahr 1957. Der unterscheidet zwischen Eigentum und Besitz an spaltbarem Material: Sofern das spaltbare Material in Europa »erzeugt« wurde, besitzt Euratom als Eigentümer ein letztes Verfügungs- und Einspruchsrecht.
Seit Jahrzehnten ist nun umstritten, ob die Anreicherung von Uran zu nutzbaren Brennstäben als »Erzeugung« gilt und damit dem Zugriff durch Euratom unterliegt. Der EuGH verneinte dies allerdings: Wenn Uran eingeführt, in Europa angereichert und danach wieder ausgeführt werde, sei dies eine reine Weiterverarbeitung. Die Versorgung europäischer Kraftwerke sei nicht berührt.


Urenco mischt mit
Auch deutsche AKW-Betreiber an Urananreicherungsanlage beteiligt

Die Urenco Ltd. mit Sitz in Marlow bei London ist in Europa einer der Großen im Urangeschäft. Sie betreibt im westfälischen Gronau, in den Niederlanden sowie in Großbritannien nahezu baugleiche Urananreicherungsanlagen. Diese Fabriken arbeiten mit zylinderförmigen Zentrifugen: Das schwere, für die Kernspaltung nicht taugliche Uran-238 wird durch die Drehung der Zylinder nach außen geschleudert, das verwertbare Uran-235 aus dem Inneren der Behälter abgesaugt und in die nächste Zentrifuge geleitet. Mit derselben Technik werkelt im Übrigen auch der Iran bei seinem umstrittenen Atomprogramm.
Die drei Urenco-Anlagen versorgen nach Angaben eines Unternehmenssprechers AKW in 15 Ländern mit angereichertem Uran. Welche das sind, wird allerdings nicht verraten. Die Lieferverträge werden mit den Betreibern der jeweiligen Kraftwerke abgeschlossen. Da fügt es sich gut, dass die großen Stromkonzerne selbst Gesellschafter von Urenco sind. Jeweils zu einem Drittel sind die britische INFL (Tochter des AKW-Betreibers British Nuclear Fuels), die Ultra-Centrifuge Nederland sowie die deutsche Uranit beteiligt, die wiederum den Energiekonzernen E.on und RWE gehört. Eine Tochtergesellschaft von Urenco Ltd., die Urenco Inc., wiederum ist derzeit am Bau einer Urananreicherungsanlage in den USA beteiligt.
Der Urenco-Konzern hat nach unterschiedlichen Angaben einen Anteil von 13 bis 15 Prozent an der weltweiten Urananreicherung. Außer Großbritannien, Deutschland und den Niederlanden mischen die USA, Russland und Frankreich im Anreicherungsgeschäft mit. Auch in China und Japan werden Anlagen betrieben, diese produzieren aber nur für den heimischen Markt.
Nahezu unbeachtet ist im Mai dieses Jahres ein neuntes Mitglied zu diesem Eliteclub von Ländern gestoßen, die die Urananreicherung in industriellem Maßstab beherrschen und anwenden. Brasiliens staatlicher Atomkonzern Industrias Nucleares do Brasil nahm eine Fabrik in Resende in der Nähe von Rio de Janeiro in Betrieb. Bisher wurde brasilianisches Uran nach Europa in die Urenco-Fabriken zur Aufbereitung geschickt.
Reimar Paul
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