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Wenn es nachts nicht mehr richtig dunkel wird

Wissenschaftler untersuchen Auswirkungen der großstädtischen Lichtverschmutzung auf die Tierwelt

  • Christian Thiele
  • Lesedauer: 3 Min.
Berlin ist nachts noch nicht so hell wie Hamburg, München und viele Großstädte in Spanien. Ein Problem sind Laternen und Leuchtreklame aber bereits jetzt.

Wenn die Nacht zum Tag wird, bringt das auch die Tierwelt aus dem Takt. In Städten wie Berlin wird es nach Ansicht von Wissenschaftlern kaum mehr richtig dunkel. Deshalb wachen Vögel früher auf, Insekten werden zum Licht gezogen und die Augen nachtaktiver Tieren, die sich an den matten Schein des nächtlichen Sternenhimmels angepasst haben, fühlen sich von Straßenlaternen geblendet. Forscher ergründen seit Jahren die Auswirkungen.

»Wir stehen in vielen Fragen erst an den Anfängen«, sagt Sibylle Schroer, Koordinatorin des Berliner Forschungsverbunds »Verlust der Nacht«. Die Nächte in Berlin werden wie in vielen anderen Großstädten immer heller. »Wir gehen von drei bis sechs Prozent jedes Jahr aus«, sagt Schroer. Der Grund: Es gibt immer mehr Lichtquellen. Dabei sei die Bundeshauptstadt eine vergleichsweise dunkle Stadt, anders als Hamburg oder München, wo es große Einkaufsstraßen gebe, die viel Licht in die Nacht schicken. »In Spanien sind viele Metropolen viel heller.« Dass Berlin »nachts relativ dunkel ist«, hängt laut Schroers auch mit Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg zusammen. So gibt es heute weniger prachtvolle Straßenlaternen.

In weiten Teilen der Stadt werde auch noch Gasbeleuchtung eingesetzt, eine alte Technologie, erklärt Stephan Völker, Leiter des Fachgebiets Lichttechnik an der Technischen Universität Berlin. Nach Schätzung Schroers reicht der Lichtkegel Berlins trotzdem bis zu 100 Kilometer ins Umland. In der Uckermark und im Westhavelland gebe es noch Gebiete, »die relativ verschont vom elektrischen Licht sind«.

Experten sprechen von Lichtverschmutzung, wenn der Nachthimmel durch künstliches Licht immer heller wird. Dadurch können weniger Sterne beobachtet werden. Außerhalb »städtischer Lichtglocken« können mitunter bis zu 4000 Sterne erblick werden, innerhalb dann bloß 50, sagt Schroer. Das ärgert weltweit Astronomiebegeisterte und treibt Naturschützern Sorgenfalten auf die Stirn. Die Umweltorganisation BUND warnt, dass die Orientierung nachtaktiver Vögeln durch leuchtende Werbetafeln und Straßenlampen gestört werde und viele gegen Hochhäuser fliegen und verenden. Die Biologen des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig haben herausgefunden, dass Amseln in beleuchteten Stadtgebieten nachts fünf Stunden früher singen als ihre Artgenossen im Wald. Andere Vögel brüten früher. »Das Problem: Zu einer früheren Zeit im Frühjahr kann es passieren, dass es bei widrigen Temperaturbedingungen nicht ausreichend Futter gibt«, erläutert Schroer. Weil Weibchen sich in der Paarungszeit vom Gesang der Männchen anlocken lassen, könne es passieren, dass sich anders als in der Darwinschen Theorie auch schwache männliche Tiere fortpflanzen - »also nicht der Stärkere gewinnt, sondern der, der sein Haus unter einer Lampe hat«.

Auch der Wasserfloh reagiert auf helle Nächte. Er taucht nur im Schutze der Dunkelheit auf, um sich von Algen zu ernähren und dabei nicht zur Beute anderer zu werden. Kommt er seltener an die Oberfläche, könnten sich Algen rascher vermehren, gibt Schroer zu bedenken. Erforscht werde nun, ob und wie sich Tiere auf die Lichtverhältnisse eingestellt hätten.

Lichtexperte Völker plädiert für LED-Beleuchtung. »Dabei wird das Licht gerichtet verteilt und nicht zerstreut«, begründet Völker. Bislang gebe es in der Hauptstadt nur 500 bis 600 LED-Lampen in den insgesamt 22 000 Laternen. dpa

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