• Reise
  • 13. nd-Lesergeschichten-Wettbewerb

Begegnung auf der Parkbank

  • Horst Paulick, Elsterwerda
  • Lesedauer: 4 Min.
Ruhig sitzen ist für den einstigen Lehrer keine Option, es sei denn, er schreibt, was der 82-Jährige gern und oft tut. Ansonsten ist er am liebsten unterwegs - per Rad oder auf den eigenen Füßen. Rund 300 Kilometer wandert er jeden Monat und legt zwischen März und Oktober monatlich um die 500 Kilometer per Velo zurück. Das hält fit - geistig und körperlich, ist er überzeugt.
Ruhig sitzen ist für den einstigen Lehrer keine Option, es sei denn, er schreibt, was der 82-Jährige gern und oft tut. Ansonsten ist er am liebsten unterwegs - per Rad oder auf den eigenen Füßen. Rund 300 Kilometer wandert er jeden Monat und legt zwischen März und Oktober monatlich um die 500 Kilometer per Velo zurück. Das hält fit - geistig und körperlich, ist er überzeugt.

Da hatte ich mich diesmal wohl übernommen. Also schleunigst den nahe gelegenen Park angesteuert, wo ich auf einer abseitsstehenden Bank Gelegenheit zum Entspannen fand. Wie schön es hier war! Ringsum grünte und blühte es. Duftender Jasmingeruch stieg mir in die Nase. Der Frühblüher Zeit war längst vorüber. Dennoch, einige Spätkommer in bunter Blütenfülle erfasste mein Blick. Dazu majestätische Buchen und Eichen, im Gegensatz dazu auch herrliche, mir immer wieder imponierende weißstämmige Birken. Kaum sattsehen konnte ich mich an der schönen Natur. Weiter weg spielende Kinder oder Spaziergänger störten mich keineswegs.

Jemand hatte neben mir Platz genommen, geriet fast in Körperkontakt zu mir. Er fing an, irgendworin herumzukramen. »Na, Opa, och’n Glimmstängel gefällig?« Die Worte schreckten mich auf, zwangen zum Herüberblicken. Ich muss wohl so entgeistert geblickt haben, dass das Sprechen abrupt aufhörte. Das Vorhaben wurde doch durchgesetzt. Ich bekam’s mit meinen noch gut funktionsfähigen Sinnesorganen mit, vor allem mit der Nase. Ich musste genauer hinsehen. Schwer einzuschätzen das Alter, wegen eines Bärtchens, der den Mund meines Gegenübers umspielte. Doch von kräftiger Gestalt. Muskulöse halbnackte Oberarme zeugten davon.

Wie genießerisch er an der Zigarette zog! Wie er Rauchkringel nach oben entschwinden ließ! Beinahe künstlerisch. Wenn ich nicht konsequenter Nichtraucher gewesen wäre! Ich sah ihn mir genauer an. Nicht mal unsympathisch, aber sein verwerfliches Rauchen. »Pardon, Opa, für vorhin.« Also gewissen Anstand hatte er. Immerhin. Aber, dass er mich Opa nennen musste. Warum eigentlich? »Wie alt sind Sie überhaupt?«, wollte ich wissen. Als habe er darauf gewartet, fingerte er ein Dokument hervor, hielt es mir unter die Nase. »Werde demnächst 17«, verkündete er stolz.

»So 17 demnächst. Sie in der Anrede ist also korrekt«, kam meine alte Sprechweise wieder durch. »Herr Stiebner, dann wollen wir mal weiter sehen.« Ich war in meinem Element. »Wissen Sie denn nicht von der Gefährlichkeit des Rauchens für den menschlichen Organismus? Vor allem von Jugendlichen. Vor möglichen unangenehmen Folgen wird doch genug gewarnt.«

Ich hielt inne, bemüht seinen Gesichtsausdruck zu deuten. Der war weder ironisch-spöttisch noch gelangweilt, eher konzentriert. Für mich die Grundlage zu weiterer Aufklärung. Bevor es dazu kam, stellte ich mich offiziell vor. »Übrigens, Dr. Hans Olbrich«, formulierte ich. Das freundliche Lächeln in seinem Gesicht entging mir nicht.

»Aha, Doktor für Mensch oder Tier oder gar etwas Seltenes?« »Nein, bin einfach Lehrer gewesen, und das über 40 Jahre«. Nun war’s an ihm, zu staunen. »Donnerwetter, echt cool. Wenn ich an unsere Lehrer denke. Nicht einfach mit uns.«

Mein jugendlicher Bartträger wurde mir immer sympathischer. Allerdings mit ernüchternder anschließender Aussage seinerseits: »Tja Opa, zum Rauchen. Bin seit drei Jahren dabei, mit zwölf bis 15 momentan pro Tag. Warum? Es macht eben männlicher. Aber das kommende Abi schlaucht auch.« Ein ehrliches, wenngleich schlimmes Geständnis. Sollte ich aufgeben? Nein, entschied ich augenblicklich. »Das kann doch nicht wahr sein, junger Mann«, gab ich mich aufbrausend, »wo bleibt da die Vernunft? Und was sagen Lehrer und Eltern dazu?« »Erstere müssen’s hinnehmen. Man spricht mich nicht mehr an deswegen. Und die anderen. Leider Versager auf ganzer Linie.« Er rauchte weiter, wirkte aber zunehmend unsicherer. Ich erfuhr, dass er im Heim lebt, fast ohne Kontakt zu den Eltern. Sein Erzeuger sei Uniformträger gewesen, habe aber keinen A. in der rot­biesigen Offiziershose gehabt. Welch’ vernichtendes Urteil! Er tat mir mittlerweile leid. Ihm beizustehen - mein Entschluss stand.

Trotz meiner Skepsis, er stand vor meiner Tür, wie verabredet. Sogar pünktlich und, noch überraschender, mit Mitbringsel. An der Kaffeetafel griff er begeistert zu, hatte aber auch viel zu erzählen. Unterschiedlichste Themen wurden berührt, vor allem aber unser bisheriges Leben. Um etwas zu holen, hatte ich ihm zur Einsichtnahme ein Album gereicht.

»Menschenskind, Opa«, hörte ich ihn plötzlich rufen, »das kann doch nicht wahr sein.« »Doch, Herr Stiebner, es stimmt«, so meine Reaktion nach dem Herantreten. Ein Foto zeigte mich in Stiefelmontur. »Sieht aber wirklich prima aus.« Ich berichtete, dass ich nie Uniformträger gewesen sei. Aber es gab eine Zeit, da Gestiefeltsein hochmodern war. Ich, sonst ein Modemuffel, war dabei. Mit Begeisterung, die noch heute gilt.

Wir verbrachten einen unterhaltsamen und informationsreichen Nachmittag. Trotz gewaltiger Unterschiede, besonders im Alter, gab es genug Berührungspunkte. Warum sollten wir uns nicht öfter treffen? Seine Opa-Nennung für mich, sie war schon kein Problem mehr. Übrigens, wir hatten je einen Sieg errungen, jeweils über uns selbst. Ich, indem ich ihm einen Aschenbecher bereitgestellt hatte, er, indem er diesen unbenutzt gelassen hatte.

Weitere angenehme Überraschungen könnte es zukünftig geben, zum Beispiel, wenn ich ihn in Stiefelhose und Langschäftern, die nach zwischenzeitlicher Gestalthochzeit nun wieder gut passten, begrüßen würde.

Horst Paulick aus Elsterwerda »Begegnung auf der Parkbank« [anhören]

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