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Luxemburgs Schleier der Toleranz

Anina Valle Thiele sieht in der Ablehnung des Ausländerwahlrechts eine vertane Chance - auch für Europa

  • Anina Valle Thiele
  • Lesedauer: 3 Min.

Für Europa hätte es eine Sternstunde werden können, es blieb jedoch bei einer Sternschnuppe, die schnell verglomm. In Luxemburg konnten die WählerInnen darüber abstimmen, ob sie dauerhaft im Land lebenden Ausländern neben dem kommunalen Wahlrecht auch die Chance einräumen, die Zusammensetzung des nationalen Parlaments mitzubestimmen. Luxemburg wäre so das erste Land der EU geworden, das Staatsangehörigkeit und demokratische Mitbestimmung prinzipiell entkoppelt: Bei annähernd 50 Prozent Ausländeranteil und der geringen Größe des Großherzogtums wäre es Vorbild in Europa geworden.

Doch obwohl die Regierung aus Liberalen, Sozialdemokaten und Grünen (nach den Parteifarben »Gambia« genannt), der größte Gewerkschaftsverband, die Linke und viele andere für ein »Jo« warben, entschieden sich die wahlberechtigten Luxemburger mit der überwältigenden Mehrheit von 80 Prozent für das »Nee«. An den Kampagnen der Parteien konnte man beobachten, wie einhellig die nationale Gemeinschaft beschworen wurde - in einem Land, über dessen Gründungsdatum sich die Historiker bis heute streiten. Allein die Linke (déi Lénk) verwies offensiv auf die Bedeutung von Migranten in Luxemburg. »Von den Leuten, die hierzulande im Reinigungssektor arbeiten, dürfen 86 Prozent nicht wählen« oder »Wahlrecht für deinen Nachbar« waren ihre Slogans.

Die Volksabstimmung am 7. Juni war von der Gambia-Regierung als großes Reformvorhaben angedacht, doch das Gegenteil ist eingetreten. Es hat einen Keil in die Gesellschaft getrieben, besser gesagt: Unter dem Schleier der Toleranz ist die Wirklichkeit hervorgetreten. Die Kluft zwischen den Luxemburgern, die ihre Privilegien schützen wollen, und portugiesischen »Gastarbeitern« und Pendlern aus der Grenzregion (Deutschland, Frankreich und Belgien), die bestenfalls als Dienstleister dienen, um den Wohlstand zu sichern, ist nun offen sichtbar.

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wanderten aus Italien meist mittellose Menschen ein, um in der Schwer- und Stahlindustrie im Süden des Landes zu arbeiten. Ab den 60er Jahren warb Luxemburg außerdem gezielt »Gastarbeiter« aus dem von der Salazar-Diktatur gebeutelten Portugal an, die bis heute vor allem im Putz- und Bausektor tätig sind. Zuletzt waren es freilich Banken und EU-Institutionen, die wesentlich besser bezahlte Arbeitskräfte anlockten. Die Pyramide, an deren unterstem Ende die Portugiesen stehen, blieb unverändert. So waren lediglich 54 Prozent der in Luxemburg lebenden Bevölkerung überhaupt aufgerufen, an die Urnen zu gehen.

Das ernüchternde Ergebnis dieser Volksbefragung ist allerdings kein Anlass zu moralischer Überheblichkeit, wie sie häufig die Wahrnehmung europäischer Nachbarländer bestimmt. Beim Kommunalwahlrecht für Ausländer ist Luxemburg weitaus fortschrittlicher, da es nicht auf EU-BürgerInnen beschränkt ist. Und ob es in Deutschland bei gleicher Fragestellung mehr als 20 Prozent Ja-Stimmen gäbe, ist nicht auszumachen.

Der stärker werdenden Wagenburgmentalität in der EU haben sich die Luxemburger nicht entgegengestellt. Dem liberalen Premier Bettel stand die Verzweiflung am Wahlabend ins Gesicht geschrieben, haben die nationalistischen Argumente seiner Gegner doch gezogen. Allerdings spiegelt sich im Abstimmungsergebnis der Luxemburger auch Unmut über andere Reformvorhaben der Regierung.

Eine Stimme vermisste man in den Wochen vor dem Referendum gänzlich: die des einstigen Landesvaters und jetzigen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, des Architekten des Staatsbeamtenapparats. Die bestbezahlten Jobs beim Staat sind in der Regel noch immer Luxemburgern vorbehalten. Der Kommissionspräsident lacht sich in Brüssel vermutlich ins Fäustchen, weiß er doch um das Risiko eines solchen Referendums, das er selbst niemals eingegangen wäre. Er kennt seine Wählerschaft zu gut.

So ist Luxemburg als Gründungsstaat der Europäischen Gemeinschaft letztlich doch nur ein Spiegelbild der EU selbst. Die viel beschworene europäische Integration ist längst zu einer ausgehöhlten Formel verkommen und funktioniert nur noch auf Kosten derjenigen, die draußen bleiben. Die Grenzen werden dicht gemacht, um den Wohlstand zu sichern. Frei nach dem Motto: Mitgefühl und Solidarität zum Nulltarif, aber eben nur so lange, wie es unseren Wohlstand nicht gefährdet.

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