Verbieten ist verboten

Über einen Kulturwandel, der Humor braucht

  • Schmidbauer
  • Lesedauer: 4 Min.

Es gibt heute nicht nur Helikoptereltern, sondern auch eine Helikopter- moral. Ihr Flugbenzin ist das Internet, und wo alles um den schnellen Angriff geht, gibt es wenig Raum für Empathie oder gar Humor, nicht einmal für den im Gesetzbuch stehenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen.

Ein nur anfangs witziges Beispiel hat sich in den letzten Wochen um die Universität Passau herum abgespielt. Ausgelöst wurde ein wahrer Angriff von Moralschwärmern durch ein Projekt der Sportstudenten für eine Feier. Sie schrieben einen Wettbewerb aus und dachten, es sei ein toller Gag, dem alten bayerischen Brauch des Fensterlns neue Weihen zu verleihen. Über dieses Balzritual gibt es viele kitschige Bilder. Es geht darum, nicht durch die Haustür, sondern mit Hilfe einer mitgebrachten oder entliehenen Leiter vor das Kammerfenster der Angebeteten zu kommen. Wenn sie den schwindelfreien Jungmann einsteigen lässt, ist der erotische Bund besiegelt.

Bayern war dafür bekannt, dass es einerseits streng katholisch und anderseits der vorehelichen Erotik sehr zugeneigt ist. Auf der Alm, wo die Sennerin melkt und der fesche Jäger zu Besuch kommt, gibt es keine Sünde. Auch der Weg durchs Fenster vermeidet die Begegnung mit den Eltern der Braut, die solche Annäherungen nur in der Hochzeitsnacht erlauben würden. Die Sportstudenten garnierten also einen Hindernisparcours mit dem symbolischen Ziel des Kammerfensters der Geliebten.

Halt! schrieb da die Gleichstellungsbeauftragte der Universität. Sie ist dafür zuständig, darüber zu wachen, dass sich Chancengleichheit in allem abbildet, was in der Universität geschieht. Wenn Fensterln, dann müssen beide Geschlechter auf die Leiter steigen dürfen!

Nun muss man sich fragen, warum dann das Studium der katholischen Theologie nicht längst aus dem Lehrplan verbannt wurde. Das liegt daran, dass Gleichstellungsbeauftragte sehr viel weniger Macht haben als ihnen von privilegienbesorgten Männern zugeschrieben wird. Das katholische Priester-Privileg genießt in Passau wie überall Bestandsschutz. Über Jahrhunderte hin war die katholische Theologie überhaupt das einzige Studium, das man in Passau abschließen konnte. Der Autor hat als Gymnasiast in den 50er Jahren noch das bedrückende, bigotte Klima der Bischofsstadt erlebt. Ein Wettbewerb im Fensterln an der Universität Passau wäre damals aus ganz anderen Gründen undenkbar gewesen.

In der Presse wurde aus der Gender-Kritik an einem Wettbewerb männlicher Aktivisten gleich ein Verbot. Und plötzlich wurde die Frage diskutiert, ob Fensterln die Frau »zum Objekt degradiert« - diese hässliche Formulierung soll in der Diskussion zwischen einer Gleichstellungsfrau und einem Sportstudenten gefallen sein. Jetzt kamen die Helikopter geflogen. Ein veritabler Professor für Verwaltungsrecht, Max-Eammanuel Geis von der Universität Erlangen erklärte, ein Erlass gegen das Fensterln sei mit der bayerischen Verfassung nicht vereinbar und die Objektformel würde im Staatsrecht nur verwendet, um Folter, Sklaverei oder KZ-Haft zu bezeichnen. Wolle man in Passau etwa auch den Tango, den Minnesang und die Carmina Burana verbieten?

Auf Facebook brach ein Shitstorm gegen die Fachfrau los. Von politischer Seite wurde gehetzt. Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten und die Junge Union Niederbayern fanden die Gleichstellungsbeauftragte eine »Schande für unsere Heimat«, die das bayerische Lebensgefühl in den Schmutz ziehe.

Später sollte eine Podiumsdiskussion im vollbesetzten Audimax der Universität Passau die Debatte versachlichen. Uni-Präsident Burkhard Freitag verteidigte seine pflichtbewusste Gleichstellungsbeauftragte. Sie habe nur ihren Job gemacht, was solle sie sonst tun?

Inzwischen haben hochrangige bayerische Politiker versucht, Öl ins Feuer zu gießen. Ministerpräsident Horst Seehofer fasste die bayerische Lebensart wieder einmal in die Formel »leben und leben lassen«, seine Stellvertreterin Ilse Aigner wies darauf hin, dass die Frau beim Fensterln zwar sportlich weniger gefordert, ihre Aktivität aber doch von gleichem Rang sei wie die männliche. Sie müsse das Fenster auftun.

Viel Lärm um nichts? Es ist ein verräterischer Lärm, der zeigt, wie humorlos auf beiden Seiten die Auseinandersetzung über die Frage geführt wird, wie eine von patriarchalen Traditionen geprägte Gesellschaft mit dem von ihr selbst gewollten Kulturwandel umgeht. Männer und Frauen haben sich gemeinsam dafür entschieden, eine interkulturelle Perspektive in ihre Beziehungen einzuführen. Gleichzeitig sind sie mehr denn je auf Schutz und Anerkennung von Seiten des Gegenübers angewiesen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal