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Selbst das Kanzleramt schaute weg

Untersuchungsausschuss offenbart erschreckendes Desinteresse: Kooperation zwischen BND und NSA war Tabuthema

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Wo endet der BND, wo beginnt das Kanzleramt? Im Zuge der NSA-Ermittlungen stößt man auf ein Knäuel inhaltlicher und personeller Verflechtungen. Diese Inzucht macht Kontrolle nahezu unmöglich.

Das Kanzleramt und insbesondere die Abteilung 6 ist Fach-, Dienst- und Rechtsaufsicht des Auslandsgeheimdienstes BND. Hier werden die inhaltlichen Vorgaben für den Geheimdienst erarbeitet - das letzte derartige Papier ist allerdings schon mindestens sechs Jahre alt. Das Kanzleramt erteilt Aufträge, leitet Geheimdiensterkenntnisse an die zuständigen Regierungsstellen weiter. Die Mitarbeiter von Angela Merkel erwarten, dass die untergeordnete Behörde BND alle besonderen Vorkommnisse nach oben meldet.

Alles funktioniert weitgehend, auch weil man sich über weite Strecken blind versteht. Kein Wunder, der personelle Austausch zwischen beiden Behörden ist immens. Beispiel Guido Müller. Der war am Donnerstag Zeuge vor dem BND-NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag. Derzeit ist er Vizepräsident des BND, davor arbeitete er als Geheimdienstreferatsleiter im Kanzleramt, nachdem er vom BND in die Regierungszentrale versetzt worden war. Ernst Uhrlau, einer der Freitagszeugen, kam vom Hamburger Verfassungsschutz, wurde Geheimdienstabteilungsleiter im Kanzleramt, dann BND-Chef. Ohne diese Personalverquickungen würde der Laden nicht laufen, sagte Müller sinngemäß und fragte in die Runde: »Glauben Sie im Ernst, die Bundeswehr käme ohne unsere Leute aus?!«

Umgekehrt ist das nicht anders. Als Beispiel mag der Freitagszeuge Brigadegeneral Dieter Urmann stehen. Der Bundeswehroffizier leitete die Abteilung Technische Aufklärung des BND und war, wie sein Nachfolger, Brigadegeneral Hartmut Bauland, der auch schon als Zeuge gehört wurde, aktiv an der Spionagebeihilfe des BND für die NSA beteiligt. Beide sorgten und sorgen dafür, dass man aus der Weltraumkommunikation und an deutschen Internetknoten alles abfischte, was die NSA interessierte.

Dass es »eine Kooperation« mit der NSA gab, stritt keiner der Zeugen aus BND und Kanzleramt ab. Es wäre auch eine absurde Verteidigungsstrategie gewesen, nach alldem, was der einstige NSA-Vertragsarbeiter Edward Snowden seit Sommer 2013 offengelegt hat. Seltsam ist allerdings, wie wenig die Zeugen vom Inhalt dieser Kooperation wissen. Als Beispiel mag Hans Josef Vorbeck dienen. Er ist ein alter Hase im Geheimdienstgeschäft und leitete eine Kerntruppe der Abteilung 6 im Kanzleramt. Wie alle bislang befragten Chefs aus BND oder Kanzleramt hat er im März oder April 2015 zum ersten Mal den Begriff Selektor gehört.

Selektoren sind eine Art Suchbegriffe - Telefonnummern, E-Mail-Adressen, Begriffe, Namen, Auto-, Pass- oder Kreditkartenummern, die für die NSA von Interesse sind. Die NSA lieferte jede Woche neue Selektoren, der BND fütterte damit seine elektronischen Staubsauger und leitete alle Treffer an die US-Partner weiter. Es ist seltsam, dass kein Beteiligter sich mal das MoE vom 28. April 2003, also die in Kritik stehende Kooperationsvereinbarung des BND mit der NSA, angeschaut hat.

Wie viele hunderttausend Selektoren es gibt, weiß niemand. So wie die Mitglieder des Untersuchungsausschusses würde auch Vorbeck mal gern mal einen Blick in die vom Kanzleramt geheim gehaltene Liste werfen. Vielleicht fände er sogar Suchkriterien, die auf ihn verweisen. Denn 2011 wurde Vorbeck urplötzlich degradiert. Seither muss sich der einstige Topp-Geheimdienstpolitiker um Geschichtsschreibung kümmern. Warum, hat man ihm nie gesagt. Man munkelt, US-Agenten hätten Vorbeck bei seinem Dienstherrn verpfiffen, weil er zu oft mit Journalisten telefoniert hat.

Geschichtsschreiber Vorbeck übte vor dem Untersuchungsausschuss Selbstkritik. Er hatte ein vom BND übermitteltes Dokument »von extrem hoher Schutzklasse« auf dem Tisch, aus dem beiläufig hervorging, dass die NSA mit BND-Hilfe die europäischen Hightech-Firmen EADS und Eurocopter ausspioniert. Später stellte sich heraus, dass auch französische Regierungsstellen bis zum Élysée-Palast sowie EU-Gremien auf der Selektorenliste standen.

Derartige Spionageziele gehörten nicht zum Auftragsprofil des BND, hätten also unterbunden werden müssen. Doch Vorberg bekennt: »Ich habe es überlesen.« So wie andere Verantwortliche es übersahen. Mindestes in sechs weiteren noch immer geheimen Dokumenten soll der versteckte Hinweis aufzufinden sein, der eigentlich als besonderes Vorkommnis an die Regierungsspitze zu melden gewesen wäre. Übrigens: Dass die NSA in der Kooperation mit dem BND Ziele verfolgte, die im Sinne deutscher Interessen nicht tolerierbar sein dürften, hatte der BND bereits um die Jahreswende 2003/2004 am Rande dem Kanzleramt mitgeteilt. Reaktionen gab es nicht.

Noch immer ist nicht klar, wieso 2007 plötzlich drei kleine BND-Mitarbeiter in Pullach und Bad Aibling, wo die gemeinsame Lauschoperation mit der NSA bewerkstelligt wurde, die Selektorenliste überprüften und Tausende aktive, doch eigentlich verbotene Suchbegriffe löschten. Diese »Insubordination« ist angeblich nie der BND-Führung gemeldet worden. So konnte die es auch nicht dem Kanzleramt melden … Das wiederum wollte nie wissen, wie der BND seine Informationen beschafft. Kein Wunder, verstößt der Geheimdienst doch permanent gegen Gesetze anderer Staaten und womöglich auch gegen deutsche. »Need to know« - so lautet ein uralter Geheimdienstgrundsatz. Jeder sollte nur wissen, was er wissen muss - oder wissen will?

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