Besinnung fällig
Uwe Kalbe über eine vorsichtige Neubewertung des Verfassungsschutzes
Wer Verfassungsschutzberichte für bare Münze nimmt und daraus eins zu eins die realen Gefährdungen für den demokratischen Grundkonsens dieser Gesellschaft ableiten will, wird scheitern. Immer wieder haben die politisch motivierten Intentionen der Autoren in die Irre geführt, ein undifferenziertes und dadurch verzerrtes Bild extremistischer Linksrechtsislam-Gefahren entworfen. Zu sehr waren sie selbst von der Verwicklung des Verfassungsschutzes in die Strukturen der rechtsextremistischen, sogar rechtsterroristischen Unterwelt beeinflusst. Damit sind Verfassungsschutzberichte Zerrspiegel der Wirklichkeit - zugleich sind sie selbst reales Abbild der rechtslastigen Voreingenommenheiten dieser Gesellschaft.
Wenn der aktuelle Bericht nun eine deutliche Zunahme rassistischer Straftaten ausweist (also rechter, so etwas gibt es nicht von links), ist das einerseits den Gegebenheiten geschuldet. Es stimmt mit den Beobachtungen auch ziviler Institutionen überein, die sich dem Opferschutz verschrieben haben oder - häufig zum Verdruss der staatlichen Institutionen - Gegenwehr bei rechten Aufmärschen organisieren. Andererseits ist die alarmierende Behördenstatistik auch ein kleines Zeichen von Neubewertung. Wo Gewalttaten, Überfälle, sogar solche mit tödlichem Ausgang, jahrelang als nicht politisch motiviert galten, sind inzwischen mancherorts Überprüfungen im Gange. Dass sich der Verfassungsschutz ähnlich selbstkritisch besinnt, ist zu hoffen. Soeben erhielten die Einschüchterungsversuche blindwütiger Rechter neuen Nachdruck - durch Morddrohungen.
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