»Wenn niemand ein Kunstwerk kennt, kann es niemand wertschätzen.«

Barbara Fischer über unser Leben in einer digitalen Welt, die Zukunft des kulturellen Erbes der Menschheit und die Verfügbarmachung der Kunst für alle

  • Lesedauer: 3 Min.
Barbara Fischer ist Kuratorin für Kulturpartnerschaften bei Wikimedia Deutschland, einer der ältesten und größten Länderorganisationen der international agierenden Wikimedia Foundation. Die gemeinnützige Organisation hat das erklärte Ziel, die Idee vom frei zugänglichen Wissen in Deutschland zu fördern und zu unterstützen. Das Gespräch mit Barbara Fischer führte Elke Koepping.

nd: Welches Interesse verfolgt Wikimedia mit »Coding da Vinci«?

Fischer: Wir möchten bei Kultureinrichtungen Werbung dafür machen, warum offene Lizenzen für sie interessant sind. Kultureinrichtungen digitalisieren im wesentlichen für ihren institutionellen Bedarf, sie möchten für ihre eigene Forschung auf Digitalisate zugreifen können. Die Vorstellung, dass andere mit diesen Daten etwas ganz Neues anfangen könnten, ist für viele noch ungewohnt. Es soll beim Hackathon für sie erfahrbar werden, was Menschen mit solchen Daten machen können. Wir wollen mit »Coding da Vinci« auch zeigen, dass unser Kulturerbe nicht nur wichtig für unsere Identität ist, sondern Spaß machen kann. Damit tragen wir die zur Verfügung gestellten Daten breiter in die öffentliche Wahrnehmung.

Sehen Sie offene Daten also als ein Instrument der Demokratisierung von Kultur an?

Ja, Demokratisierung im Sinne des Verständnisses eines mündigen Bürgers. Weil ich nur mit etwas umgehen kann, wenn ich wirklich Kontakt damit habe. Unser Leben spielt sich zunehmend im Digitalen ab. Wenn ich in dieser digitalen Umgebung gar nicht mehr auf mein kulturelles Erbe stoße, dann versinkt es im Vergessen. Das hat große Auswirkungen auf unser Kulturverständnis, aber auch auf unsere eigene kulturelle Identität. Das würde ich bedauern, wenn das unsere Zukunft wäre.

Ersetzt irgendwann das digitale Artefakt das »echte« Exponat?

Nein, auf keinen Fall. Warum kennen wir heute die »Mona Lisa«? Sie ist eine Art kulturelle Ikone, ein Bild, das oft in den Medien reproduziert worden ist. Die Geschichte ihrer Bekanntheit ist damit auch eine der Medien. Wenn niemand ein Kunstwerk kennt, kann es niemand wertschätzen. Deswegen glaube ich, dass es wichtig ist, Kunst, oder generell unser kulturelles Erbe, über das Netz bekannt zu machen, damit wir überhaupt eine Chance haben, es wahrzunehmen. Daraus entsteht die Sehnsucht, dieses Werk auch im Original zu sehen. Wer sieht, wie viele Menschen im Louvre anstehen, um die Mona Lisa zu sehen, der wird erkennen, dass es nur positiv sein kann, wenn wir unser Erbe auch im Digitalen rezipierbar machen.

Die Datenflut im Netz ist so unermesslich, wer sieht sich dort die Sammlungen kleiner Archive mit spezialisiertem Interesse an?

Werkoriginale sind sehr sensibel und müssen vorsichtig behandelt werden, aber mit Digitalisaten ist alles möglich. Das bietet Möglichkeiten, spielerisch mit ihnen umzugehen. Das Rijksmuseum in Holland z. B. hat sich entschieden, seine gesamte Sammlung online zur Verfügung zu stellen. So besitzt es ein großes Konvolut an Druckgrafiken aus dem 16. bis 19. Jahrhundert, die normalerweise in den Depots liegen - da geht es um religiöse Motive in unzähliger Varianz. Ein Videokünstler hat sich dieses Druckwerks angenommen und daraus einen Trickfilm konstruiert, eine Lovestory zwischen einem Mann und einer Frau. Plötzlich wirken die Grafiken richtig modern, nahezu poppig. So ein Video auf Youtube oder Vimeo bietet die Chance, dass mehr Leute dieses Werk zu sehen bekommen. Ich erreiche mit der Veröffentlichung von Daten, dass neue Zugänge dazu eröffnet werden, die bisher vielleicht nur das Bildungsbürgertum erreicht haben. Im Sinne von kultureller Bildung ist das ein riesiger Fortschritt.

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