Was bleibt

Barbara Thalheims »AltTag« - ein Konzert zur DVD

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 3 Min.

Hätte Barbara Thalheim dereinst nicht den Beruf der freien Künstlerin, sondern, sagen wir, einer Büroangestellten gewählt, dann würde sie jetzt bereits Rente beziehen. Hätte sie, statt Lieder zu schreiben und zu singen, 45 Jahre lang Schriftsachen sortiert, dann bräuchte sie jetzt nicht am Sonntag zu arbeiten und könnte stattdessen die Geranien gießen oder baden gehen. Dabei ist anzunehmen, dass dieser »Job« in der »Bar jeder Vernunft« alles andere als eine lästige Pflichtübung ist: Dort nämlich spielt Barbara Thalheim samt Band auf, um mit dem Publikum das Erscheinen einer blutjungen DVD zu feiern: »AltTag«.

Sorge dürfte ihren Fans eine Formulierung in der Ankündigung der neuen Platte bereiten: »Zum Ende ihrer Karriere«, steht da, habe die Liedermacherin sich den Wunsch erfüllt, einige ihrer Songs von befreundeten Filmkünstlern bebildern zu lassen. »Zum Ende ihrer Karriere«? Mag sein, dass Thalheim, die schon vor 20 Jahren einmal auf Abschiedstournee gegangen ist, diesmal ernst macht. Das »AltTag«-Programm jedenfalls - und die Lieder auf der dazugehörigen DVD - ist nicht frei von Wehmut. Es geht darin um das Altern von Menschen und Gesellschaften, um Erinnerungen, Lebensbilanzen und Abschiede.

Nicht, dass die Stücke - in denen Verse vorkommen wie dieser: »Ach, berühr mich noch mal wie ich weiß nicht mehr wann« - allesamt melancholisch wären, aber es spricht doch die Frage aus ihnen: »Was bleibt?«. Von mir und meinen Liedern, von meinem Leben, den Menschen, die ich liebte, von meinen Träumen, meiner Hoffnung, meiner Welt? Das Tröstliche an Barbara Thalheims Auseinandersetzung mit dem Altwerden und Altsein ist aber, dass sie an ihren Zweifeln nicht verzweifelt. Sie gibt sich ihnen nicht hin. Sie gibt sie her. Die Zweifel mitzuteilen hießt hier: sie zu teilen mit Freunden, Kollegen, mit Künstlern, auch wesentlich jüngeren.

Was sie den Musikern ihrer Band verdanke - neben dem auch nicht mehr taufrischen Schlagzeuger Topo Gioia sind da Bassist Bartek Mlejnek und Girarrist Rüdiger Krause -, wird Thalheim nicht müde, hervorzuheben. Unter den Filmemachern, die sich nun ihrer Musik annahmen, sind ebenfalls nicht nur alte Weggefährten, sondern auch jüngere Künstlerinnen wie Odette Lacasa, Daniela Richter oder das Kollektiv Las Bandidas. Und so kommt es, dass in den von Thalheims Liedern inspirierten Filmchen zwar etliche Bilder jener untergegangenen Welten umhergeistern, denen hier nachgesungen wird (die arbeiterliche Gesellschaft der DDR, das kollektivistische Leben auf dem Land, die Kleider- und Haarmoden früherer Jahrzehnte). Aber es tauchen eben auch quirlig jetztsüchtige Animationen auf und eine bewegte Collage im Monty-Pythons-Stil. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, illustrieren die Filme keineswegs bloß, was Thalheim singt. Die Poesie dieser Bilder, das ja, ist mit jener der Lieder verwandt. Identisch sind beide mitnichten.

Zwei Filme stechen hervor, weil sie eine direkte Leitung zu jenen legen, die nicht alt sind, sondern tot. Einmal sieht man da Thalheims langjährigen Gefährten Jean Pacalet, wie er - ein Film im Film - hingebungsvoll sein Akkordeon malträtiert. Die Leinwand, auf der man ihn spielen sieht, befindet sich auf einer Bühne, auf der ihre heutigen, die lebendigen Musiker stehen. Nach und nach stimmen sie ein in das innige Spiel - ein musikalisches Gespräch, das das Ende eines Lebens, dank Technik, überwindet. Und im Schlussstück, einer Bearbeitung des Kurt-Schwaen-Lieds »Wer möchte nicht im Leben bleiben«, defilieren Porträts verstorbener Künstler und Denker vorbei, denen die Thalheim sich verbunden fühlt: von Georg Heym bis Günter Gaus, von Christa Wolf bis Tamara Danz. Die Gesichter sind mir alle bekannt, doch fehlen mir - ich gestehe - zu manchen die Namen. Jung sein ist auch kein Vergnügen.

DVD »AltTag«, erschienen bei Conträr Musik. Live am 5.7., ab 19.30 Uhr, in der »Bar jeder Vernunft«, Schaperstr. 24, Charlottenburg.

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