Irgendwann zurückkehren können

Nicos engagiert sich in Berlin bei SYRIZA dafür, wieder eine Perspektive in Griechenland zu finden

  • Katja Herzberg
  • Lesedauer: 4 Min.
SYRIZA-Mitglied Nicos Tzanakis-Papadakis musste das Referendum aus der deutschen Ferne beobachten. Für den 26-Jährigen steht fest: Die Menschen in Europa müssen zusammen für ihre Zukunft kämpfen.

Heißer als in Athen war es in den vergangenen Tagen in Berlin - aber nur was die Temperaturen anging. Gegen die aufgeheizte politische Großwetterlage in Griechenland kommen die fast 40 Grad hier nicht an, auch wenn sie Nicos Tzanakis-Papadakis Schweißperlen auf der Stirn abtrotzen, als er vom Fahrrad steigt. Der 26-jährige Grieche ist im Stress - kurz vor der Oxi-Demonstration am Freitagabend in Berlin will ihn die Autorin dieses Artikels kennenlernen, wissen, warum er nach Deutschland gekommen ist und sich aus der Ferne als SYRIZA-Mitglied für Griechenland und Europa engagiert.

Von Solidarität für seine Heimat allein hält Nicos nichts: »Es geht nicht um die Zukunft der Länder, sondern um die der arbeitenden Bevölkerung des Kontinents.« Für Griechen, Spanier, Italiener oder Deutsche gebe es nur dann eine Perspektive, »wenn wir gemeinsam auf europäischer Ebene kämpfen und diesen Kampf erfolgreich gestalten«, sagt Nicos selbstsicher in fließendem Deutsch. In Griechenland habe er - wie viele andere junge Menschen - zurzeit keine Perspektive. »Es ist sehr wichtig, dass es zu einem Politikwechsel kommt, damit wir menschenwürdig leben können. Meine Generation ist in Armut, Arbeitslosigkeit und prekären Arbeitsverhältnissen gefangen.« Dies bewog Nicos auch, vorerst zu gehen. »Der Erfolg der Linken in Griechenland und dieser Regierung ist für mich persönlich die einzige Hoffnung darauf, irgendwann nach Griechenland zurückzukehren.« Der schlanke, junge Mann spricht diese Worte ohne jeden Pathos, auch nicht mit Wut in der Stimme. Er wirkt für sein Alter außergewöhnlich abgeklärt.

Während sich viele Griechen in den vergangenen Tagen in Richtung ihrer Heimatgemeinde aufmachten, blieb Nicos in Berlin. »Die Flüge sind zu teuer«, erklärt Nicos. Er müsste nach Iraklion, die Hauptstadt von Kreta reisen, um seine Stimme abzugeben. In Deutschland sei das Leben für ihn zurzeit einfacher, auch weil er während seines vor Kurzem abgeschlossenen Masters ein Stipendium erhielt. In Griechenland wäre es Nicos nach fünf Jahren Austeritätspolitik heute kaum möglich, die Universität zu besuchen. Aber das heißt nicht, dass er hier nie Probleme habe. In Kneipen wird er des Öfteren als »der Grieche« für alles verantwortlich gemacht, was in und um den Mittelmeerstaat vor sich und auch mal schiefgeht. Dabei hält er nichts von nationalen Mythen, denkt auch als Philosoph in anderen Kategorien. Der Doktorand will erklären, nicht streiten. Darin ist er auf einer Linie mit vielen SYRIZA-Politikern, die derzeit die griechische Regierung bilden. Bestimmt und beherrscht trotz der vielen Halbwahrheiten und bereits entlarvten Lügen - in seiner Sprache und Darstellung ähnelt er damit auch Parteichef und Ministerpräsident Alexis Tsipras. In der Linkspartei kennt man sich, doch nicht wie anderswo ist das Karrierebedingung. Unaufgeregt erzählt Nicos, dass er nur kurze Zeit nachdem Tsipras von der Spitze des Jugendverbandes von Synaspismos - der größten in SYRIZA aufgegangenen Organisation - in den Vorstand des Linksbündnisses wechselte, dort beigetreten ist.

Schon seit seinem 14. Lebensjahr ist Nicos politisch aktiv, doch beteuert wie Tsipras und viele SYRIZA-Minister, kein Leben als Politiker geplant zu haben. In Berlin beteiligt er sich seit 2012 an der Arbeit der lokalen Basisorganisation des SYRIZA-Jugendverbandes. Sie sucht Kontakt zu griechischen Migranten in Berlin, vernetzt sich mit der deutschen Linken und macht Öffentlichkeitsarbeit, um »der Propaganda der letzten Jahre entgegenzuwirken«, wie es Nicos formuliert. Dazu gehört auch, sich an Demonstrationen wie der am Freitagabend zu beteiligen. Nicos war dort als Redner aufgetreten. Ihm ist es auch ein Anliegen, in anderen deutschen Städten Aktionsgruppen aufzubauen.

Seine Erfahrung in der politischen Auseinandersetzung ist ihm anzumerken, Nicos wirkt selbstsicher und konzentriert, auch wenn seine linke Hand immer wieder den silbernen Ring am kleinen Finger seiner rechten Hand sucht und ihn etwas nervös vor sich hindrehen lässt. Wäre er Mitglied der konservativen Partei Nea Dimokratia oder der anderen griechischen Traditionspartei PASOK, Nicos würde sicher nicht in lässig sitzender Jeans und dunkelrotem Kordhemd zum Interview kommen. Wie dem Krawatten-Verweigerer Tsipras fokussiert er sich auf Argumente, nicht auf Konventionen.

Mit welcher Zielstellung? Soziale Gerechtigkeit und Demokratie. Für die breite Masse der Menschen in Europa sei Wohlstand in weiter Ferne, aber eine gerechte Verteilung der Kosten der Krise und ein Ende der Erpressung mittels der horrenden Staatsschulden sind seiner Ansicht nach rasch möglich. Dafür müssten sich aber nicht nur die Griechen aussprechen, auch Europa habe in diesen Tagen laut Nikos die Wahl: »Die EU muss entscheiden, ob sie dem demokratischen Prinzip treu bleibt oder dem neoliberalen Kurs. Das Referendum ist nur eine Station des gemeinsamen Kampfes. Die nächste Station ist, so hoffe ich, die Wahl in Spanien im Herbst.«

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