Tsipras’ schwerste Entscheidung

Die Einigung der griechischen Regierung mit den Euro-Partnern fordert Athen harte Reformen ab

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Eine rasche Erholung ist für Griechenland nicht in Sicht. Wenige Stunden nach der Einigung der 19 Euro-Staaten, mit Griechenland über ein neues Kreditprogramm zu verhandeln, war klar: Die Banken des Landes bleiben auch am Dienstag geschlossen. Bis wann dies gelten soll, wollte das Finanzministerium in Athen am Montagabend bekanntgeben. Seit dem 29. Juni können die Griechen täglich höchstens 60 Euro von ihren Bankkonten abheben, da die Geldinstitute in akuter Finanznot sind. Die Notkredite der Europäischen Zentralbank, die Entlastung bringen könnten, bleiben ebenso vorerst auf dem derzeitigen Niveau von knapp 90 Milliarden Euro eingefroren. Die Luft ist für Griechenland zwar nicht knapper geworden, aber der erhoffte Befreiungsschlag blieb ebenfalls aus.

So war der Kompromiss, den Griechenlands Premier Alexis Tsipras nach 17-stündigen Verhandlungen am Montagmorgen mit seinen Amtskollegen in Brüssel beschlossen hatte, im linken Flügel seiner Partei SYRIZA denn auch auf Ablehnung gestoßen. Bei der Umsetzung der nun von den Gläubigern verlangten Maßnahmen wird Tsipras auf die Unterstützung aus den Reihen der Opposition angewiesen sein.

Tsipras selbst sagte: »Wir haben in einer gerechten Schlacht bis zum Ende gekämpft.« Athen habe den Kollaps seines Finanzsystems verhindert sowie »die Schlacht um die Schuldenrestrukturierung gewonnen«. Griechenland habe seine »verlorene nationale Souveränität zurückgewonnen« und hinterlasse »ein wichtiges Erbe für notwendigen Wandel in Europa«.

Im Streit über den von Deutschland geforderten Privatisierungsfonds sei verhindert worden, »dass öffentliches Vermögen ins Ausland verschoben wird«, so Tsipras. Der Fonds wird in Griechenland und nicht wie von der Bundesregierung gefordert in Luxemburg angesiedelt. Griechische Vermögenswerte wie das Stromnetz im Wert von insgesamt 50 Milliarden Euro sollen verkauft werden, um den Fonds zu füllen. Die Hälfte dient anschließend der Rekapitalisierung der griechischen Banken, nur 12,5 Milliarden Euro sind für Investitionen vorgesehen.

»Der Gipfel betont, dass es entscheidend ist, mit der griechischen Regierung wieder Vertrauen aufzubauen«, heißt es im ersten Satz der Brüsseler Abschlusserklärung. Es folgen die Bedingungen, die Athen noch vor Aufnahme von Verhandlungen über das Programm beim Euro-Rettungsfonds ESM, bei denen dann auch wieder der Internationale Währungsfonds mit am Tischen sitzen wird, erfüllen muss. Noch am Montag sollte das Parlament die gesamte Vereinbarung billigen. Bis Mittwoch müssen eine Mehrwertsteuer- und Teile einer Rentenreform vom Parlament beschlossen und auch »quasi-automatische Ausgabenkürzungen« festgeschrieben werden, falls Griechenland Haushaltsziele verfehlt. Hellas’ Finanzbedarf in den nächsten drei Jahren wird auf 82 bis 86 Milliarden Euro geschätzt.

Die Vorteile überwögen die Nachteile »eindeutig«, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie könne dem deutschen Parlament »aus voller Überzeugung empfehlen«, für die Aufnahme von Verhandlungen zu stimmen. Der Bundestag wird voraussichtlich am Freitag in einer Sondersitzung sein Votum abgeben.

Die LINKE wird dann vermutlich mit Nein stimmen. Ihr Vorsitzender Bernd Riexinger äußerte aber Verständnis dafür, dass sich Tsipras auf die Bedingungen eingelassen hat. Er habe »mit dem Messer am Hals« verhandelt, so Riexinger. Eine Lösung der Schuldenkrise ist seiner Meinung nach nicht absehbar. »Ich vermute, das griechische Drama wird weitergehen. Griechenland bekommt damit zu wenig Luft zum Atmen.« Für EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker steht dagegen mit der Einigung von Montag fest, dass es nicht zum drohenden Euro-Aus für Athen kommt. »Es wird keinen Grexit geben«, sagte Juncker. kah/Agenturen Seite 2

- Anzeige -

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.