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Zimmerpalmen

  • Andreas Gläser
  • Lesedauer: 3 Min.

Meine drei mickrigen Zimmerpalmen, diese blasgrünen Krüppel, wo die verdorrten Blätter nur ein muffiges Hellbraun von sich geben, bevor sie in den Topf fallen, wo der Sand einen leichten Schimmelansatzes aufweist; diese Zimmerpalmen, die wären außerhalb meiner vier Wände besser aufgehoben, zumal es in Europa keinen Winter mehr gibt; zumindest von den Temperaturen her. Draußen, in den Straßen, auf den Plätzen, in den Parkanlagen, da dominiert das saftige Grün. Mir sind meine Pflanzen nur recht und billig, wie meine Wohnung, während auf der anderen Straßenseite den Bewohnern in ihren Superherbergen alles lieb und teuer scheint. Wie es mir inzwischen im Prenzlauer Berg gefalle, werde ich von anderen Ureinwohnern etwas mitleidig gefragt. Schön, ruhig und zentral ist es hier, antworte ich. Die Damen und Herren meiner Wohnungsbaugesellschaft halten die Füße still, es gibt keine Anzeichen, dass sie unser Haus aufmotzen und verscherbeln wollen. Ich lebe im vierten Stock, ohne Fahrstuhl, ohne Balkon, darauf haben die Geldgockel keine Lust. In meinem Haus leben einige Menschen seit über 30 Jahren, auch die neuen Mieter aus den alten Ländern sind leichter zu handhaben als meine Palmen; meine Pfälzerin des Vertrauens wird mich später einmal pflegen, hat sie mir vor Jahren gesagt.

Viele langjährige Kumpels haben nicht solches Glück. Vater, Mutter, Kind - da genügt das Geld nicht, wenn nur die Eltern arbeiten gehen. Bei den Wohnungsbesichtigungen im Kiez sind sie als Lehrer und Heilmedizinerin die Asozialen, die sich wohl oder übel in Basdorf oder Birkenwerder ein Haus organisieren müssen. In Prenzlauer Berg treffe ich kaum noch Leute aus den 70ern, 80ern und 90ern auf der Straße. Und wenn ich an einige hier Hängengebliebenen denke, so könnten die mit ihrer Spießigkeit genauso gut im Umland brillieren. Der Arbeiterbezirk ist so kaputt wie der Knaackklub, weil wir alte Säcke sind, die schon in den Nullern vieles sausen ließen. Die Jugend wiederum, hat unsere Altlasten nicht nötig, die hopst ungezwungen durch alle Bezirke.

Auch ich bin groß und habe lange Beine. Morgen trete ich in Kreuzberg bei einer Künstlersause auf. Der Sound des Prenzlauer Bergs, wie wir ihn aus DDR-Zeiten kennen, ballert immerhin an so manchem Wochenendtag durch die Straßen, wenn der Berliner Fußballclub Dynamo mehr Proleten anzieht als den Umstrukturierungsliebhabern in den Kram passt. Im Friedrich Ludwig Jahn-Sportpark wiegen die Pappeln ihre Kronen zu den Liedern der Anhänger, oder zu einem rockenden Kehrreim der Vier Martinis, der da lautet: »Wir kriegen unser Leben schon irgendwie Rum / wir kriegen unser Leben schon irgendwie Bier / wir kriegen unser Leben schon irgendwie Gin / wir kriegen unser Leben schon irgendwie Klarer.« Ich bin älter als meine drei Zimmerpalmen zusammen, so alt wie manch halbstarker Baum.

»Sprechstunde«, Lesung & Musik mit Ivo Lotion, Robert Klages, Sofie Lichtenstein, Andreas Gläser und anderen, 18.7., 19.30 Uhr, Hoffest in der Skalitzerstraße 100, Kreuzberg

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