Schnürsenkel-Kappen der DNA

  • Reinhard Renneberg, Hongkong
  • Lesedauer: 3 Min.
Auf den ersten Blick sind die Endbereiche der Chromosomen ausgesprochen langweilig. Ihre DNA-Bausteinfolge wiederholt hundertfach immer nur ein kurzes, ganz charakteristisches Motiv: GGGGTT GGGGTT GGGGTT ... Warum ist so wichtig für Zellen, dass diese Enden möglichst lang sind? Das Geheimnis scheint gelüftet, und die Entdecker erhielten den diesjährigen Lasker Award for Basic Medical Research. Dieser »kleine US-Nobelpreis« für Medizin, dotiert mit 100 000 Dollar, erwies sich oft auch als Vorstufe für den »richtigen« Nobelpreis. Die Geehrten sind Elizabeth Blackburn (University of California, San Francisco), Carol Greider (Johns Hopkins University) und Jack Szostak (Harvard Medical School). Bei gesunden Zellen geht bei jeder Zellteilung ein Teil des DNA-Strangs verloren: Die Enden der Chromosomen-Kette, Telomere genannt (griech.: telos = Ende, meros = Teil), werden nach und nach kürzer. Schließlich stirbt die Zelle. Die Telomer-Kappen an den Enden der Chromosomen schützen also die genetische Information vor Schnittverlusten. Einen groben Vergleich geben die Schutzkappen an Schnürsenkeln: sind sie weg, dröselt die Schnur auf. Beim Menschen haben diese Schutzkappen anfangs eine Länge von bis zu 20 000 Basenpaaren. Damit ist die Anzahl von Zellteilungen bei Körperzellen auf 50 bis 60 begrenzt. Lisa Blackburn entdeckte Ende der 70er Jahre als PostDoc an der Yale University bei dem Einzeller Tetrahymena die Telomere. 1980, inzwischen mit eigenem Labor an der University of California, Berkeley, traf sie auf einer Konferenz Jack Szostak, einen Hefegenetiker. Kurzentschlossen packten sie die sich wiederholenden Tetrahymena-Sequenzen in knospende Hefen. Doch die erwartete Zerstörung blieb aus: Die Einzeller-DNA wurde von den »Telomer-Langweilern« geschützt! Blackburn und Szostak postulierten nach weiteren Experimenten: Ein Enzym muss die Telomere an die DNA »anhängen«! Carol Greiner, eine Studentin im Blackburn-Labor, fand dieses Enzym - die Telomerase - und wies seine Funktion nach. Die Telomerase benutzt in ihrem aktiven Zentrum eine Art »Gebiss« aus Ribonucleinsäure: Die RNA hat in ihrer Sequenz CCCCAA - das exakte Gegenstück zum GGGGTT der DNA. Szostak seinerseits zeigte in Hefen, dass ohne Telomerase die Chromosomen bei jeder Teilung kürzer werden, die Zellen also altern. Soll sich das nicht aufhalten lassen?! Wäre damit nicht das Geheimnis der ewigen Jugend, gar der Unsterblichkeit gefunden? Zumindest die jeweiligen Zellen wären auf dem besten Wege. 1998 entdeckte man, dass zumindest in Gewebekulturen die Lebensspanne von menschlichen Zellen deutlich erhöht ist, wenn in ihnen Telomerase gebildet wird. Es arbeitet allerdings nur in solchen Zellen, die sich häufig teilen; dazu zählen beispielsweise Knochenmark-, Haut- oder Haarzellen. Erfreulicherweise werden für therapeutische Zwecke zunehmend gerade derartige Zellen benötigt. Und Krebszellen? Die haben offenbar eine Super-Telomerase. Wenn das alles wie beschrieben funktioniert, wären Hemmstoffe gegen die Telomerase-Aktivität möglicherweise ein gutes Mittel, Krebs auch im fortgeschrittenen Stadium zu bekämpfen. Mehr dazu in der eben erschienenen 2. überarbeiteten Auflage von Rennebergs »Biotechnologie für Einsteiger« (Elsevier-Spektrum-Verlag Heidelberg)

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